Die Witwen von Paradise Bay - Roman
nicht zu stören, dagegen umso mehr die künstlichen Sprays und Deodorants, die diese Gerüche überdecken sollen. Einmal hat Ches sogar gesagt, er könne den Geruch seiner eigenen Scheiße ertragen – er könne ihn sogar mögen –, doch von dem Lufterfrischer mit Orangenblütenduft, den ich im Badezimmer angeschlossen habe, müsste er würgen. Vor Jahren hat er schon verlangt, dass ich unparfümierte Binden kaufe, denn von den deodorierten würde ihm schlecht. Aber wenn dieser widerliche Hund auf seinen Schoß geklettert ist, hat Ches nie über den Gestank geklagt, nur über den Lufterfrischer, den ich hinterher versprüht habe.
Naserümpfend staune ich, wie jemand mit einem so empfindlichen Geruchssinn an sich selbst den Dunst von Zigaretten und Alkohol ertragen kann. Ich seufze schwer und frage mich, wann ich Ches aufgegeben habe, oder, genauer gesagt, wann er sich aufgegeben hat. Ches kann alles heilmachen, nur sich selbst nicht.
»Ches, na los, steh auf«, flüstere ich und stupse ihn noch einmal an. Warum flüstert man eigentlich, wenn man jemanden wecken will, wo es doch viel wirkungsvoller wäre, Töpfe und Pfannen zusammenzuschlagen und den Schlafenden laut zu rufen? Aber wenn ich Ches so aus dem Schlaf reißen würde, würde er mir sicher keinen Gefallen mehr tun. Nun wispere ich ihm schon seit einer halben Stunde zu, endlich aufzustehen, und meine Geduld kommt langsam an ihr Ende.
Er schläft in letzter Zeit fast nur noch. Ganze Tage vergehen, ohne dass Ches sich zeigt, weder zum Frühstück noch zum Abendessen, nicht einmal, wenn im Fernsehen die Hockey Night in Canada läuft. Manchmal geht er gleich zur Legion, trinkt dort bis zur Sperrstunde, stolpert singend und kichernd nach Hause und verlangt von mir, dass ich aufstehe und ihm etwas koche. Um drei Uhr morgens habe ich natürlich glasige Augen und bin hundemüde, aber ich stehe trotzdem auf und mache ihm ein Sandwich, denn ich habe Angst, dass er sonst den Herd einschaltet, auf der Couch einschläft und das Haus abbrennt. Im Fernsehen laufen ständig die Warnhinweise der Feuerwehr, und seit ich weiß, wie schnell und wütend eine Pfanne mit Fett brennt, habe ich eine Heidenangst davor.
Ich mustere das Gesicht meines Mannes. Er hat eine leicht aufgeworfene Nase und ein schmales Kinn. Es sind auch die Gesichtszüge unserer Tochter. An ihr sind sie schön, doch bei ihm wirkt es, als wäre er ein schwächlicher Charakter. Männer sollten markante, eckige Kiefer haben, aber Ches hat kaum Kinn, eher ein spitzes Dreieck. Außerdem hat er sich seit über einer Woche nicht rasiert, und sein Barthaar wächst in Büscheln, das verleiht ihm etwas Kränkliches. Auf seinem Hals zeichnen sich Pickelchen ab, wie auf der Haut eines frisch gerupften Hühnchens. Der Schlaf soll doch angeblich noch die harschesten Züge mildern, aber Ches sieht mit den dunklen Schatten unter den Augen und den tiefen Falten um den Mund alles andere als friedlich aus.
Es ist erst zehn Uhr morgens, und unter normalen Umständen würde ich nicht einmal im Traum daran denken, Ches so früh zu wecken. Ich bin versucht, Ches’ Geländewagen selbst zu fahren, doch ich kann nicht einmal einen Kleinwagen fahren, und Ches will es mir auch nicht beibringen. Er meint, ich sei zu unkoordiniert, um gleichzeitig mit Kupplung, Pedalen und Lenkrad klarzukommen, und wahrscheinlich hat er recht. Wie oft habe ich schon den Braten im Ofen vergessen und nur auf den Topf mit dem Gemüse geachtet!
»Ches?« Ich werde lauter, nun reißt mir der Geduldsfaden. »Na los, weißt du nicht mehr? Wir müssen in die Stadt und Marianne zur Uni fahren. Heute ist die Wissenschaftsmesse.« Ches reagiert nicht, und ich versuche zu verdrängen, dass Marianne womöglich keine Gelegenheit haben wird, ihre Erfindung vorzuführen. »Du hast es versprochen«, sage ich kläglich, wie ein Kind. »Du weißt doch, wie sehr sich Marianne darauf gefreut hat.«
Gefreut ist gar kein Ausdruck. Unsere Tochter spricht seit Monaten von nichts anderem. Marianne war eines Tages aus der Schule gekommen, völlig aufgeregt, weil sie ein Parfum für die Wissenschaftsmesse entwickeln wollte. In den vergangenen drei Monaten hat sie jeden Nachmittag mit Lupinen, die wild neben dem Trans Canada Highway wachsen, mit Blaubeeren, Meersalz und getrocknetem Tang herumexperimentiert. Auf meine Frage, was für ein Duft das werden soll, hatte sich Marianne zu mir gedreht, die Hand auf den Mund gelegt und mir zugeflüstert: »Das wird frische Luft«,
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