Die Witzekiste
bis Klein Erna in irgendeiner Variation ihren Platz gefunden hat.
Die gnädige Frau fährt mit Marjellchen zu einem Fest bei Verwandten, wo sie auch übernachten. Während der Rückfahrt fragt sie: »Sag , Marjellchen , hat man dich denn auch als Dame behandelt?»
»O ja , gnädige Frau« , bestätigt sie, »zweimal auf der Treppe und dreimal auf der Terrasse!«
Ein ganz besonderes Prachtexemplar war die »Frau Wirtin«, um die es in den letzten Jahren sehr still geworden ist – wahrscheinlich aus Altersgründen. Sie wirkte in einem Wirtshaus an der Lahn, und man kann sich vorstellen, dass sie dort als pralle Schankmamsell die Gäste bediente – nicht nur mit Bier und Wein. Vermutlich war sie unverheiratet, vielleicht auch Witwe, weil ihr Mann aus Kummer über den lockeren Lebenswandel seiner besseren Hälfte früh verstorben war.
In ihren auch gesungenen Reimen hatte »Frau Wirtin« oft nur die Funktion einer Stichwortgeberin, die ihre Einfälle an alle möglichen Partner weitergab und ihnen auch die Formulierung des gedankenvoll ausklingenden Schlusssatzes überließ. Aber zu Anfang ihrer Frivolitäten gab sie immer den Ton an.
Frau Wirtin hatt’ auch einen Inder,
der war im Bett ein großer Sünder,
doch selbst im schärfsten Lustgekeuche
behielt er seinen Turban auf –
so streng sind da die Bräuche.
Frau Wirtin hatt’ auch einen aus Wien,
der furzte Schlagermelodien,
›Deutschmeister‹ , ›letzte Rose‹ ,
nur ›Donauwellen‹ konnt ’ er nicht –
da schiss er in die Hose.
Frau Wirtin hatt’ auch einen aus Meißen,
der konnte Blumenmuster scheißen,
und einst auf einem Gartenfeste
schiss er Girlanden auf den Tisch –
wie staunten da die Gäste!
Das Hauptwort Scheiße bildete in den Nachkriegsjahren den Humus, auf dem viele Pointen wuchsen. Auch Bonifatius schmückte seinen Schwank vom großen Unbekannten, der Kiesewetters Trompete als Klosett benutzt hatte, sodass die Exkremente seinen Gästen beim ersten Trompetenstoß um die Ohren flogen, mit dem tiefsinnigen Nachsatz: »Scheiße im Trompetenrohr, kommt Gott sei Dank nur selten vor …«
Einsichten wie diese wurden zu geflügelten Worten und gingen damals auch in den deutschen Sprachgebrauch ein, ohne dass sich die Erzähler die nicht standesgemäße Herkunft klarmachten. Die Zitate verflüchtigten sich aber wieder, als ihre Erfinder das Rentenalter erreicht hatten oder das Zeitliche segneten.
Scherze aus der untersten Schublade gehörten auch zu den bescheidenen Mitbringseln, die von den entlassenen deutschen Kriegsgefangenen nach Hause getragen wurden. Kaum genesen, hochgepäppelt von Frau oder Mutter, machten sie es sich nach des Tages Müh’ in jener Bleibe gemütlich, die – auferstanden aus Ruinen – neben den eigenen vier Wänden ihr liebster Zufluchtsort war: in der Kneipe am Stammtisch.
Hier war die Welt noch mit Dachpappe zugenagelt, floss ein Dünnbier aus den Zapfhähnen, von dem selbst ausgepichte Zecher nur den Schaum abtranken. Aber unter den Theken hatten die Wirte ihre selbstgebrannten Schnäpse versteckt, und die handgedrehten Zigaretten, Marke Eigenbau, qualmten mit den Kanonenöfen um die Wette.
Was hatten sich die Kriegsheimkehrer, die Flüchtlinge aus dem Osten und die alten Kameraden, die den Krieg hinter wichtigen Schreibtischen überstanden hatten, am Tresen oder Stammtisch zu erzählen?
Thema 1: Die Erlebnisse an der Front.
Thema 2: Der auf den Wiesen bolzende, neugeborene Fußballverein.
Thema 3: Die altbackenen Witze der Firma Frau Wirtin – Marjellchen – Kiesewetter & Co.
Schüttelreime brachten die ehemaligen Landser mit in die Kneipe, harmlose und happige Zweizeiler.
Oft hängt bei einem forschen Mädchen
die Tugend nur am morschen Fädchen.
Zum Dank, dass er sie stets gefickt,
hat sie ihm einen Fez bestickt.
Selbst auf das erhabene Volkslied nahm die schmutzige Phantasie der Stammtischbrüder, womöglich auch ihrer Zechkumpanen aus den Studentenverbindungen und Abiturienten-Jahrgängen keine Rücksicht.
Es waren zwei Königskinder,
die hatten miteinander viel Müh,
sie konnten zusammen nicht kommen,
denn er kam immer zu früh.
An den Theken und Stammtischen gab es bis zu der von den Besatzungsmächten verordneten Sperrstunde keine Tabus mehr. Doch was da unter Männern von Mund zu Mund ging, durfte offiziell in der obersten Etage der »feinen Leute« nicht über die Türschwelle.
Seltsam genug war, dass solche »Herrenwitze« und Parodien während ihrer
Weitere Kostenlose Bücher