Die Wölfe vom Rock Creek - Alaska Wilderness ; 2
den Schnee zur Seite, nur um wieder auf neuen Schnee zu stoßen. In dem Wissen, dass der verschüttete Junge nur wenige Minuten durchhalten würde, wenn er nicht das Glück hatte, in einer Luftblase zu stecken, stapfte sie von einer Stelle zur nächsten, schaufelte wie besessen und kam doch nicht ans Ziel. »Mike! Randy!«, rief sie beide Namen, weil sie nicht wusste, wer unter dem Schnee lag. »Wo bist du?«
Auch Carol grub jetzt, suchte verzweifelt nach einer Spur des Jungen. Aus Erfahrung wusste sie, dass man es eigentlich nur mit Suchhunden und entsprechender Ausrüstung schaffte, einen Verschütteten aus einer Lawine herauszuziehen. Und doch schaufelte sie weiter, denn was hätte sie sonst tun können? Den Jungen im Stich lassen? Seinen Tod in Kauf nehmen, ohne versucht zu haben, ihn unter den Schneemassen zu finden?
»Carol!« Julie starrte ungläubig auf einen hellen Schimmer im Schnee. »Siehst du das? Da brennt eine Lampe!« Sie stapfte durch den angehäuften Schnee und deutete aufgeregt nach vorn. »Der Scheinwerfer des Snowmobils … das gibt’s doch nicht!« Sie schaufelte den Schnee zur Seite und stieß schon nach wenigen Sekunden auf das Snowmobil, das wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war und mit dem Vorderrad aus dem Schnee ragte. Wie ein mahnender Finger stieß die Lichtsäule des Scheinwerfers in den Himmel.
Carol war bereits neben ihr und zusammen suchten sie nach dem Jungen. Vorsichtig schaufelten sie den Schnee zur Seite, um ihn nicht zu verletzen, und fanden ihn tatsächlich. »Das ist Mike«, sagte Carol, »der Sohn von Louise.«
Mike war bewusstlos und sehr blass, atmete aber regelmäßig. Anscheinend hatte er genügend Luft bekommen. Nachdem sie seinen Körper ausgegraben hatten, legten sie ihn vorsichtig auf den Rücken und tasteten ihn behutsam nach Verletzungen ab. Alle Ranger verfügten über medizinisches Grundwissen, auch Julie, die beim Erste-Hilfe-Kurs sogar eine der Besten gewesen war. Als Tochter eines Chefarztes hatte sie genug über Verletzungen mitbekommen.
»Das grenzt an ein Wunder«, staunte Carol, »außer ein paar Verstauchungen und Prellungen hat er anscheinend kaum etwas abbekommen. Aber wir gehen besser kein Risiko ein. Könnte sein, dass er unter einem Schädel-Hirn-Trauma oder inneren Verletzungen leidet, und dann muss er möglichst bald in ein Krankenhaus.« Sie hatte bereits ihr Funkgerät aus dem Anorak gezogen.
»Hier Carol«, sagte sie noch einmal, als die Verbindung nicht gleich zustande kam. »Kannst du mich hören, Greg? Wir haben einen Verletzten. Mike Fletcher, einer der beiden Jungen.« Sie berichtete von der Lawine, wiederholte, was sie zu Julie gesagt hatte, und gab ihre Position durch. »Hier kann man schlecht landen. Am besten lässt du den Chopper in das lang gestreckte Tal des Riley Creek kommen. Ich bringe den Verletzten mit dem Schlitten hin.«
Erhart war einverstanden. »Was ist mit dem anderen Jungen?«
»Randy Bradshaw? Der hat wohl vor Schreck Reißaus genommen. Wir schnappen ihn uns später.«
Sie kappte die Verbindung und steckte ihr Funkgerät weg. Zusammen trugen sie den Verletzten zu Carols Schlitten, eine schweißtreibende Arbeit, weil sie ihre Schneeschuhe nicht angeschnallt hatten und bei jedem Schritt bis zu den Knien im Schnee versanken. Sie wickelten Mike in mehrere Wolldecken und schnallten ihn auf der Ladefläche fest. Er war immer noch bewusstlos, stöhnte aber leise, als Julie aus Versehen gegen seinen linken Arm stieß. Vielleicht kam es ihr auch nur so vor. In der plötzlichen Stille war selbst der kleinste Laut zu hören, das Scharren ihrer Schritte, das Hecheln der Hunde.
»Fahr Randy nach!«, sagte Carol. »Aber komm ihm nicht zu nahe und unternimm auf keinen Fall etwas auf eigene Faust. Er hat eine Pistole und bei dem Schock, den er gerade bekommen hat, weiß man nie.
Der bringt es fertig und schießt vor lauter Angst und Panik wild um sich. Ich komme nach, okay?«
»Geht klar, Carol.«
Sie blickte ihrer Vorgesetzten nach, die auch in einer dramatischen Situation wie dieser die Nerven behielt und so sicher fuhr, als hätte sie keinen Verletzten, sondern nur einen Stapel Decken auf der Ladefläche liegen. Julie schüttelte den Kopf. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass Mike die Lawine überlebt hatte. »Habt ihr so was schon mal gesehen?«, fragte sie ihre Hunde. »Wenn der Scheinwerfer nicht gebrannt hätte, wäre Mike schon tot.«
Sie klopfte sich den Schnee von der Kleidung und verstaute den Spaten
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