Die Woelfin
verhungert sein müssen, so lange aß sie schon nichts.
Und mit dem Trinken verhielt es sich ähnlich.
Es war . ja, es war gespenstisch. Anders konnte man es nicht bezeichnen.
Und irgendwo fürchtete sie nichts mehr als den Moment, da ihr jemand klipp und klar ins Gesicht sagen würde, was für eine Art von Gespenst sie denn war.
»Ich möchte nicht darüber reden! Es ist - meine Sache!«
Einen Moment sah es aus, als wollte Moskowitz wirklich wütend werden. Doch dann - als erinnerte ihn Liliths Haltung an seine eigene in puncto rauchen - entspannte er sich wieder.
»Verstehe. Wie wär's mit einem Spaziergang. Ich war heute am Meer, ein paar Fotos machen für den Hausgebrauch. Es ist wunderbares Wetter, und die Sicht reicht -«
»Nein. Ich möchte hierbleiben.«
Er seufzte. »Du gehst nie weg. Du begräbst dich hier, daß es einem schon den Appetit auf eine Zigarre vergällt .«
Er wollte noch mehr sagen, aber in diesem Augenblick ging der Türsummer. Achselzuckend entfernte sich Moskowitz über den Korridor. Lilith hörte, wie er die Tür öffnete, und wartete darauf, aus dem Wortwechsel herauszuhören, wer gekommen war.
Aber es gab keinen Wortwechsel.
Nach einer Minute völliger Stille wurde es ihr unheimlich. Sie erhob sich aus dem Sessel, in dem sie gesessen hatte. Aber noch bevor sie das Zimmer verlassen konnte, hörte sie hastige Schritte, die auf sie zukamen.
Dann erschien der Fotograf wieder in der Tür.
Sein Gesicht war eine Grimasse, von Grauen überzogen, und der Mund, in dem das Fehlen der Zigarre auffiel, öffnete und schloß sich wie bei einem an Land geholten Fisch.
Mehr als ein Röcheln brachte er nicht zustande. Vor Lilith brach er zusammen.
Sie glaubte an einen Herzinfarkt und bückte sich, um ihm den Kragen zu öffnen.
Als sie ihn umdrehte, starrte er sie an, als würde er sie schon nicht mehr erkennen - als wären seine Augen erblindet.
Er japste, bekam offensichtlich keine Luft.
Lilith riß ihm das Hemd auf und - versteinerte.
Im ersten Moment begriff sie nur, daß es vieles sein mochte, aber bestimmt kein Infarkt, was Moskowitz niedergestreckt hatte.
Seine ganze Brust war mit Geschwulsten übersät.
Beulen, denen man dabei zusehen konnte, wie sie von innen nach außen wucherten.
Moskowitz riß die Arme hoch. Seine Hände krallten sich in Liliths Fleisch. Er bäumte sich auf - - dann sank er zurück, und seine Augen brachen.
Erst jetzt bemerkte Lilith, daß hinter Moskowitz noch jemand eingetreten war.
Sie blickte auf. Und sah in das strahlende Gesicht von Hector Landers.
Die Frage, wie er sie hatte finden können, geriet zur Nebensache.
»Hast - hast du ihm das angetan?« schrie sie ihn an, ohne zu wissen, warum sie ihm zutraute, etwas damit zu tun zu haben.
»Er wäre ohnehin bald abgekratzt«, antwortete Landers unbeeindruckt. »Er hatte Krebs. Lungenkrebs im Endstadium. Ich habe das Wachstum der Metastasen nur ein wenig ... beschleunigt. Im Grunde habe ich ihm etwas Gutes getan. So blieb ihm ein noch längeres Siechtum erspart .«
Lilith war außerstande, etwas zu erwidern. Ihre Hand strich über die toten Augen, die sie immer noch anstarrten, und schloß sie.
»Ich habe dir noch etwas anderes mitzuteilen, was dir gefallen wird«, sagte Landers, dessen Ausstrahlung sich seit ihrer letzten Begegnung grundlegend verändert hatte. »Ich habe meine Erinnerung wiedererlangt. Sie betrifft auch dich. Wenn du willst, bringe ich dich sofort heim .«
»Heim?« echote Lilith wie erschlagen.
»In den Schoß unserer Familie. Wir waren lange fort.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. »Komm, ich habe schreckliches Heimweh - und du sicher auch ...«
ENDE
Wie es wohl sein mag
Leserstory von Michael Dependahl Teil 1
Wie es wohl sein mag? fragte er sich, in den blauen Himmel über sich starrend, über dem sich gigantische, weißwabernde Gebilde aus Wasserdampf tummelten, die von hier unten allerdings wie Wattebäusche aussahen, die jemand über eine Fläche aus transparentem Azur vor sich her blies. Würde er all dies auch noch sehen können, wenn es soweit war? Oder sah er dann nur noch Dunkelheit? Allumfassende Dunkelheit. Was konnten sie sehen?
Die Frühlingssonne stand noch ziemlich niedrig, obwohl es früh am Nachmittag war, doch konnten die Strahlen, die zwischen den herabhängenden Zweigen einer Trauerweide und einer sich sanft im leichten Windhauch wiegenden Eibe zu ihm durchdrangen, bereits soviel Kraft entwickeln, daß sie angenehm sein Gesicht wärmten, als
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