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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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ganze Weltausweiten, was nicht für den Nationalsozialismus gilt.« – »Theoretisch vielleicht. Aber ihr könnt das nicht beweisen, und in Wirklichkeit begeht ihr schreckliche Verbrechen im Namen dieser Utopie.« – »Ich will Ihnen nicht mit dem Einwand kommen, dass eure schlimmer sind. Ich sage nur: Wenn wir jemandem, der sich weigert, an die Wahrheit des Marxismus zu glauben, nicht beweisen können, wie begründet unsere Hoffnungen sind, so können und werden wir euch doch ganz konkret beweisen, wie nichtig die euren sind. Euer biologischer Rassismus behauptet, dass die Rassen untereinander ungleich sind, dass einige stärker und wertvoller sind als andere und dass die stärkste und wertvollste die deutsche Rasse ist. Doch wenn Berlin erst dieser Stadt hier gleicht« – er richtete seinen Finger auf die Decke – »und wenn unsere tapferen Soldaten auf eurem Boulevard Unter den Linden kampieren, dann müsst ihr, wenn ihr euren rassistischen Glauben retten wollt, zumindest anerkennen, dass die slawische Rasse stärker als die deutsche ist.« Ich ließ mich nicht aus der Fassung bringen: »Sie glauben also ernsthaft, dass ihr Berlin einnehmen werdet, wo ihr kaum in der Lage wart, Stalingrad zu halten? Soll das ein Scherz sein?« – »Ich glaube es nicht, ich weiß es. Wir brauchen doch nur das militärische Kräfteverhältnis zu vergleichen. Auch ohne die zweite Front zu berücksichtigen, die unsere Verbündeten bald in Europa eröffnen werden. Ihr seid erledigt.« – »Wir werden bis zum letzten Mann kämpfen.« – »Bestimmt, trotzdem werdet ihr untergehen. Und Stalingrad wird so etwas wie das Symbol eurer Niederlage bleiben. Zu Unrecht übrigens. Nach meiner Ansicht habt ihr den Krieg schon im letzten Jahr verloren, als wir euch vor Moskau stoppten. Wir haben Gebiete, Städte, Menschen verloren; das alles lässt sich ersetzen. Aber die Partei ist nicht ins Wanken geraten, und das war eure einzige Hoffnung. Unter diesen Umständen hättet ihr sogar Stalingrad einnehmen können, das hätte nichtsgeändert. Und im Übrigen hättet ihr Stalingrad einnehmen können, wenn ihr nicht so viele Fehler gemacht hättet, wenn ihr uns nicht so sträflich unterschätzt hättet. Eure Niederlage hier, die vollständige Vernichtung der 6. Armee, war nicht unvermeidlich. Doch wenn ihr in Stalingrad gewonnen hättet, was dann? Wir hätten noch immer in Uljanowsk, Kuibyschew, Moskau, Swerdlowsk gestanden. Und schließlich hätten wir euch ein Stück weiter die gleiche Schlappe zugefügt. Na gut, die Symbolik wäre nicht die gleiche gewesen, es wäre nicht Stalins Stadt gewesen. Doch wer ist schon Stalin? Was bedeuten uns Bolschewiki seine Maßlosigkeit und sein Ruhm? Was bedeuten uns, die wir hier tagtäglich sterben, seine täglichen Telefongespräche mit Shukow? Nicht Stalin gibt den Männern den Mut, sich in euer Maschinengewehrfeuer zu stürzen. Natürlich ist ein Chef erforderlich, jemand, der alles koordiniert, aber das hätte auch jeder andere Mann sein können, der was taugt. Stalin ist so wenig unersetzlich wie Lenin oder ich. Unsere Strategie hier war die des gesunden Menschenverstands. Und unsere Soldaten, unsere Bolschewiki hätten in Kuibyschew ebenso viel Mut gezeigt. Trotz all unseren militärischen Niederlagen sind unsere Partei und unser Volk unbesiegt geblieben. Jetzt wird sich das Kriegsgeschehen umkehren. Eure Leute beginnen bereits den Kaukasus zu räumen. An unserem Endsieg gibt es keinen Zweifel.« – »Vielleicht«, erwiderte ich. »Doch um welchen Preis für euren Kommunismus? Seit Beginn des Krieges beruft Stalin sich auf die vaterländischen Werte, die einzigen, die eure Soldaten wirklich ansprechen, nicht auf die kommunistischen. Er hat die zaristischen Suwurow- und Kutusoworden wieder eingeführt, ebenso die goldenen Schulterstücke, die eure Genossen in Petrograd ihnen 1917 an die Schultern nagelten. In den Taschen eurer Toten versteckt, sogar der höheren Offiziere, finden wir Ikonen. Mehr noch, wir wissen aus unseren Verhören, dass in höchsten Partei- undArmeekreisen rassische Wertvorstellungen ganz offen zum Ausdruck kommen, ein großrussischer, antisemitischer Geist, den Stalin und die Parteiführer pflegen. Auch ihr beginnt euren Juden zu misstrauen; und die stellen doch keine Klasse dar!« – »Was Sie da sagen, ist zweifellos wahr«, gab er bekümmert zu. »Unter dem Druck des Krieges kommen atavistische Einstellungen hoch. Doch vergessen wir nicht, auf welchem Stand das russische Volk

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