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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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der unterschiedlichen geistigen Strömungen in Frankreich am nützlichsten sein könnte.« – »Vielleicht haben Sie Recht. Doch wie Sie wissen, hat die SS in Frankreich das Problem, dass sie, von den reinen Polizeiaufgaben abgesehen, nur noch wenig zu melden hat. Und ich denke nicht, dass Ihnen mein Name bei dem Militärbefehlshaber viel weiterhelfen wird. Auch bei Abetz kann ich nichts ausrichten, er lässt sich nicht gerne in seine Angelegenheiten hineinreden. Aber wenn Sie wirklich so viel Wert darauf legen, dann setzen Sie sich doch mit Knochen in Verbindung. Er müsste sich an Sie erinnern.« – »Ja, das ist eine Idee«, sagte ich widerwillig. Genau das wollte ich nicht. Best fuhr fort: »Sie können ihm sagen, dass ich Sie wärmstens empfehle. Und Dänemark? Nicht interessiert? Dort könnte ich Ihnen bestimmt einen schönen Posten verschaffen.« Ich versuchte mein wachsendes Unbehagen zu verbergen, so gut es ging: »Ich danke Ihnen sehr für diesen Vorschlag, aber ich habe ganz klare Vorstellungen im Hinblick auf Frankreich und würde sie, wenn möglich, noch vertiefen.«– »Ich verstehe Sie, aber sollten Sie Ihre Meinung ändern, können Sie sich gerne wieder an mich wenden.« – »Vielen Dank.« Er blickte auf seine Uhr. »Ich esse mit dem Minister und muss mich vorher unbedingt noch umziehen. Wenn mir etwas anderes zu Frankreich einfällt oder wenn ich von einem interessanten Posten höre, lasse ich es Sie wissen.« – »Das wäre sehr nett. Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit für diese Unterredung genommen haben.« Er leerte sein Glas und erwiderte: »Gern geschehen. Sehen Sie, das fehlt mir am meisten, seit ich das RSHA verlassen habe: Männer mit Überzeugungen, mit denen man seine Ideen offen diskutieren kann. In Dänemark muss ich ständig auf der Hut sein. Nun denn, guten Abend!« Ich begleitete ihn auf die Straße hinaus und trennte mich vor der aufgelassenen britischen Botschaft von ihm. Ich sah seinen Wagen in der Wilhelmstraße davonschießen, dann wandte ich mich um in Richtung Brandenburger Tor und Tiergarten, von seinen letzten Worten ziemlich aufgewühlt. Ein Mann mit Überzeugungen? Das war ich früher sicherlich, doch wo war sie heute, die Klarheit meiner Überzeugungen? Zwar konnte ich meine Überzeugungen noch wahrnehmen, sie flatterten leise um mich herum, aber wenn ich versuchte, eine von ihnen zu greifen, entglitt sie meinen Fingern wie ein nervöser glitschiger Aal.
    Thomas war sicherlich ein Mann mit Überzeugungen; mit unübersehbaren Überzeugungen, die sich vollkommen mit seinen Ambitionen und Vergnügungen vertrugen. Bei meiner Rückkehr ins Hotel fand ich eine Nachricht von ihm vor: Er lud mich zum Ballett ein. Ich rief ihn an, um mich zu entschuldigen; doch ohne mich zu Wort kommen zu lassen, sagte er: »Na, wie ist es gelaufen?« Dann schickte er sich an, mir zu erklären, warum er mit seinen Bemühungen nicht weiterkam. Ich hörte ihm geduldig zu und versuchte bei der ersten Gelegenheit, seine Einladung abzulehnen. Aber erwollte nichts davon hören: »Du wirst allmählich menschenscheu. Es wird dir guttun, mal auszugehen.« Um ehrlich zu sein, der Gedanke daran langweilte mich zutiefst, trotzdem gab ich schließlich nach. Natürlich waren alle Russen verboten, daher gab es Divertimenti von Mozart, das Ballett aus Idomeneo , dann eine Gavotte und die Petits riens . Das Orchester wurde von Karajan dirigiert, der damals noch ein aufgehender Stern am Musikhimmel war und Furtwänglers Ruhm noch nicht überstrahlte. Ich war mit Thomas am Bühneneingang verabredet: Einer seiner Freunde hatte ihm eine Privatloge besorgt. Alles war hervorragend organisiert. Zuvorkommende Platzanweiserinnen nahmen uns Mäntel und Mützen ab und führten uns zu einem Buffet, wo uns ein Aperitif in Gesellschaft von Musikern und Filmsternchen aus Goebbels’ Studios kredenzt wurde; die Mädels waren sofort von Thomas’ Charme und schneidigem Auftreten angetan. Als man uns zu unserer Loge brachte, die sich am Fuß der Bühne über dem Orchestergraben befand, flüsterte ich: »Willst du denn keine einladen?« Thomas zuckte die Achseln: »Machst du Witze? Um nach dem guten Doktor zum Zuge zu kommen, muss man mindestens Gruppenführer sein.« Diese Neckerei war mir rein mechanisch über die Lippen gekommen, und ich blieb verschlossen, teilnahmslos, feindselig allem gegenüber; doch sobald die Vorstellung begann, war ich hingerissen. Die Tänzer waren nur wenige Meter von mir entfernt, und bei

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