Die Wohlgesinnten
Dienststellenleiter müssten eine juristische Ausbildung haben. Aber Heydrich spottete über diesen Kindergarten für Zugschaffner , und Schellenberg ließ eine Schimpfkanonade nach der anderen vom Stapel. In diesem Zusammenhang hatte Best mir eines Tages eine verblüffende Eröffnung gemacht: »Wissen Sie, trotz meiner tiefen Abneigung gegen 1793 habe ich manchmal großes Verständnis für Saint-Just, der gesagt hat: Ich fürchte weniger die Sittenstrenge oder den Wahn der einen als die Wendigkeit der anderen. « All das hatte sich im letzten Vorkriegsfrühling zugetragen; von den Ereignissen des Herbstes – Bests Ausscheiden, meinen eigenen Sorgen – war schon die Rede: Aber ich hatte durchaus Verständnis dafür, dass sich Best lieber auf die positiven Aspekte seiner weiteren Laufbahn konzentrierte. »In Frankreich und jetzt in Dänemark«, sagte er, »habe ich versucht, diese Theorien in die Praxis umzusetzen.« – »Und wie gelingt das?« – »In Frankreich ließ sich das Konzept einer beaufsichtigten Verwaltung gut an. Aber es gab zu viel Einmischung seitens der Wehrmacht, die ihre eigene Politik verfolgte, und aus Berlin, das uns mit diesen Geiselnahmen in die Quere kam. Der 11. November hat das Ganze dann natürlich beendet. Das war nach meiner Ansicht ein grober Fehler. Aber gut! Dafür mache ich mir berechtigte Hoffnungen, aus Dänemark ein Protektorat mit Modellcharakter zu machen.« – »Man hört nur Gutes über Ihre Arbeit.« – »Oh, ich habe aber auch meine Kritiker! Und dannfange ich auch erst an, müssen Sie wissen. Doch über diese Einzelaufgaben hinausgreifend, ist es vor allem wichtig, einen umfassenden Entwurf für die Nachkriegszeit zu entwickeln. Im Augenblick sind alle Maßnahmen improvisiert und Stückwerk. Und der Führer sendet bezüglich seiner Absichten widersprüchliche Signale. Daher ist es sehr schwer, konkrete Zusagen zu machen.« – »Ich weiß genau, was Sie sagen wollen.« Ich berichtete ihm in Kürze von Lippert und den Hoffnungen, über die er bei unserer Unterhaltung in Maikop gesprochen hatte. »Ja, das ist ein gutes Beispiel«, sagte Best. »Aber Sie müssen wissen, dass andere das Gleiche den Flamen versprechen. Und dann ist der Reichsführer jetzt auf Drängen des Obergruppenführers Berger im Begriff, seine eigene Politik zu machen, indem er fremdvölkische Legionen der Waffen-SS aufstellt, was sich nicht mit der Politik des Auswärtigen Amts verträgt oder was zumindest nicht mit ihm abgestimmt ist. Das ist das ganze Problem: Solange der Führer nicht persönlich einschreitet, kocht jeder sein privates politisches Süppchen. Es fehlt an einer Gesamtperspektive und damit an einer wirklich völkischen Politik. Die wahren Nationalsozialisten sind nicht in der Lage, ihre Arbeit zu machen, die eigentlich darin bestehen müsste, das Volk aufzuklären und es zu führen; stattdessen teilen die Parteigenossen die Pfründe untereinander auf, um dann dort nach Belieben zu schalten und zu walten.« – »Halten Sie denn die Parteimitglieder nicht für echte Nationalsozialisten?« Best hob einen Finger: »Vorsicht! Verwechseln Sie nicht Parteimitglied und Parteigenosse. Nicht alle Parteimitglieder wie Sie und ich sind zwangsläufig auch ›PGs‹. Ein Nationalsozialist muss an seine Vision glauben. Und da es nur eine einzige solche Vision gibt, kann es nicht anders sein, als dass alle wahren Nationalsozialisten im Dienste ein und derselben Sache wirken – der des Volkes. Aber glauben Sie denn wirklich, dass all diese Leute da« – er machte eine vage Handbewegungin Richtung des Restaurants – »wahre Nationalsozialisten sind? Ein Parteigenosse ist jemand, der seine Karriere der Partei verdankt, der eine Stellung in der Partei zu verteidigen hat und der deshalb die Interessen der Partei in Auseinandersetzungen mit anderen Organisationen der Hierarchie verteidigt, egal, welcher Art die wirklichen Interessen des Volkes sind. Anfangs war die Partei als Bewegung konzipiert, eine Kraft zur Mobilisierung des Volkes. Heute unterscheidet sie sich nicht mehr von den anderen Bürokratien. Lange Zeit haben einige von uns gehofft, die SS könne ihre Nachfolge antreten. Noch ist es nicht zu spät. Aber auch die SS ist gefährlichen Versuchungen ausgesetzt.« Wir tranken beide einen Schluck; ich wollte auf das Thema zurückkommen, das mich beschäftigte. »Was halten Sie von meiner Idee?«, fragte ich schließlich. »Mir scheint, dass ich mit meiner Biographie, der Kenntnis des Landes und
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