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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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sicher. Nach meinen Erfahrungen im Osten hatte ich den Eindruck, dass die Idealisten des SD von den Polizisten, den gewalttätigen Beamtenseelen verdrängt worden waren. Ich fragte mich, was Best wohl von der Endlösung hielt. Aber ich hatte keineswegs die Absicht, ihn danach zu fragen oder das Thema auch nur anzuschneiden, und noch weniger, ihm von meiner seltsamen Vision zu erzählen.
    Best traf mit einer halben Stunde Verspätung ein, in einer schwarzen zweireihigen Extrauniform mit vergoldeten Knöpfen und riesigen weißen Samtrevers. Nach dem Hitlergruß drückte er mir kräftig die Hand und entschuldigte sich für seine Verspätung: »Ich war beim Führer und hatte keine Zeit, den Anzug zu wechseln.« Während wir uns gegenseitig zu unseren Beförderungen gratulierten, trat der Oberkellner zu uns, begrüßte Best und führte uns in einen reservierten Nebenraum. Ich bestellte einen zweiten Martini und Best ein Glas Rotwein. Dann fragte er mich nach meiner Tätigkeit in Russland. Ich antwortete, ohne auf Einzelheiten einzugehen; schließlich wusste Best besser als jeder andere, was es mit den Einsatzgruppen auf sich hatte. »Und jetzt?« Daraufhin erläuterte ich ihm meine Vorstellungen. Gelegentlich nickend, hörte er mir geduldig zu; seine hohe gewölbte Stirn, die im Licht der Kronleuchter glänzte, trug noch immer den roten Abdruck seiner Mütze, die er auf die Bank gelegt hatte. »Ja, ich erinnere mich«, sagte er schließlich. »Sie fingen an, sich für Völkerrecht zu interessieren. Warum haben Sie nichts veröffentlicht?« – »Mangel an Gelegenheit. Im RSHA hat man mich nach Ihrem Fortgang nur mit Verfassungs- und Strafrechtsfragen betraut, und später, im Einsatz, war es unmöglich. Dafür habe ich gründliche praktische Erfahrungen mit unseren Besatzungsmethoden erworben.« – »Ich bin mir nicht sicher, ob die Ukraine dafür das beste Beispiel ist.« – »Bestimmt nicht«, sagte ich, »niemand im RSHA begreift,warum man Koch so wüten lässt. Das ist eine Katastrophe.« – »Das sind die Funktionsstörungen des Nationalsozialismus. In diesem Punkt war Stalin weit konsequenter als wir. Doch ich hoffe, dass Männer wie Koch keine Zukunft haben. Haben Sie die Festgabe gelesen, die wir zum vierzigsten Geburtstag des Reichsführers herausgegeben haben?« Ich schüttelte den Kopf: »Leider nein.« – »Ich lasse Ihnen ein Exemplar schicken. In meinem Beitrag habe ich eine Theorie des Großraums auf völkischer Grundlage entwickelt; Ihr ehemaliger Professor Höhn hat einen Artikel über das gleiche Thema verfasst, ebenso Stuckart aus dem Innenministerium. Lemmel – Sie erinnern sich? – hat ebenfalls über diese Fragen geschrieben, allerdings an anderer Stelle. Es ging darum, einerseits unsere kritische Auseinandersetzung mit den Schriften Carl Schmitts abzuschließen und andererseits die SS als treibende Kraft für den Aufbau einer neuen europäischen Ordnung in den Blick zu rücken. Hätte sich der Reichsführer mit Männern wie uns umgeben, hätte er zu ihrem wichtigsten Architekten werden können. Aber er hat die Chance vertan.« – »Was ist denn geschehen?« – »Schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob der Reichsführer von seinen Plänen für den Wiederaufbau des deutschen Ostens so in Anspruch genommen war oder ob ihm einfach die Fülle seiner Aufgaben zu viel geworden ist. Sicherlich hat die Einbeziehung der SS in den Prozess der demographischen Neugestaltung des Ostens eine Rolle gespielt. Das war einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, das RSHA zu verlassen.« Diese letzte Äußerung war, wie ich wusste, nicht ganz ehrlich. Als ich meine Dissertation (über die Vereinbarkeit von positivem Staatsrecht mit dem Begriff der Volksgemeinschaft) beendet hatte und ganz in die Dienste des SD trat, um an juristischen Gutachten mitzuwirken, hatte Best bereits erste Probleme, vor allem mit Schellenberg. Privat, aber auch in schriftlichen Äußerungen warf Schellenberg Best vor, er sei zu bürokratisch,zu verklemmt, ein juristischer Federfuchser und Haarspalter . Das war, wollte man den Gerüchten Glauben schenken, auch Heydrichs Auffassung; zumindest hatte dieser Schellenberg freie Hand gelassen. Best seinerseits kritisierte die Abkehr der Polizei vom Dienst- und Laufbahnrecht, das heißt, er vertrat die Auffassung, alle der Sipo zugewiesenen Mitarbeiter des SD, wie Thomas und ich, müssten an die üblichen Regeln und Verfahrensweisen des Beamtentums gebunden bleiben; alle

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