Die Wohlgesinnten
ihrem Anblick kam ich mir armselig, elend und erbärmlich vor, als hätte mein Körper die Kälte und die Angst der Front noch nicht abgeschüttelt. Herrlich, als wollten sie eine unüberwindliche Distanz zum Ausdruck bringen, vollführten sie in glitzernden Kostümen ihre Sprünge, und ihre hell glänzenden, prachtvollen Körper ließen mich erstarren und machten mich gleichzeitig verrückt vor Erregung (doch es war eine vergebliche, ziel- und hilflose Erregung). Das Gold, das Kristall der Kronleuchter, derTüll, die Seide, die luxuriösen Juwelen, die strahlenden Zähne der Künstler, ihre schimmernden Muskeln überwältigten mich. In der ersten Pause eilte ich, unter meiner Uniform schwitzend, an die Bar und stürzte mehrere Gläser hinunter, dann nahm ich die Flasche mit in die Loge. Thomas betrachtete mich amüsiert und trank ebenfalls, aber langsamer. Gegenüber, in einer Rangloge, musterte mich eine Dame durch ihr Doppelglas. Sie saß zu weit entfernt, ich konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen und hatte selbst kein Glas, aber ganz offensichtlich fixierte sie mich, und dieses Spielchen ging mir entschieden auf die Nerven; in der zweiten Pause vermied ich es, ihr zu begegnen, ich flüchtete mich an das Privatbuffet und trank mit Thomas weiter; doch kaum hatte das Ballett wieder begonnen, war ich wie ein Kind. Ich klatschte Beifall, dachte sogar daran, einer der Tänzerinnen Blumen zu schicken, konnte mich aber für keine entscheiden, kannte auch ihre Namen nicht, wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, und hatte Angst, mich zu irren. Die Dame fixierte mich weiterhin, doch ich kümmerte mich nicht darum. Ich trank noch mehr und lachte. »Du hast Recht gehabt«, sagte ich zu Thomas, »es war eine gute Idee.« Alles entzückte und erschreckte mich. Es gelang mir nicht, die Schönheit dieser Tänzerkörper zu erfassen, eine nahezu abstrakte, asexuelle Schönheit, die nicht zwischen Männern und Frauen unterschied, eine Schönheit, die mich beinahe empörte. Nach dem Ballett fuhr mich Thomas in eine kleine Straße in Charlottenburg; zu meinem Entsetzen erkannte ich beim Eintreten, dass es sich um ein Bordell handelte, doch es war zu spät, um umzukehren. Ich trank noch etwas und aß belegte Brote, während Thomas mit den kaum bekleideten Mädchen tanzte, die ihn offensichtlich gut kannten. Es waren noch weitere Offiziere und einige Zivilisten da. Ein Grammofon spielte amerikanische Platten, einen rasenden, an den Nerven zerrenden Jazz, der das schrille, hysterische Lachen der Hurennoch übertönte. Die meisten trugen nur Unterwäsche aus bunter Seide, und ihr weiches, fades, träges Fleisch, das Thomas mit beiden Händen gepackt hielt, widerte mich an. Ein Mädchen versuchte sich auf meine Knie zu setzen. Ich schob es sacht fort, die Hand auf seinem nackten Bauch, doch es blieb hartnäckig, ich stieß es rüde von mir, woraufhin es sich aufregte. Ich war bleich geworden, aufgelöst, alles glitzerte, klirrte und tat mir weh. Thomas schenkte mir ein neues Glas ein und lachte: »Wenn sie dir nicht gefällt, kein Grund, einen Aufstand zu machen, es gibt genügend andere.« Mit gerötetem Gesicht schwenkte er den Arm durch den Raum. »Du hast die freie Auswahl, ich lade dich ein.« Ich hatte keine Lust, aber er bestand darauf; um endlich Ruhe zu haben, ergriff ich schließlich die Flasche, aus der ich trank, am Hals und ging mit der erstbesten Nutte hinauf. In ihrem Zimmer war es ruhiger. Sie half mir, den Rock abzulegen; doch als sie mir das Hemd aufknöpfen wollte, hinderte ich sie daran und bat sie, sich zu setzen. »Wie heißt du?«, fragte ich sie. »Émilie«, antwortete sie, wobei sie den Namen französisch aussprach. »Erzähl mir eine Geschichte, Émilie.« – »Was für eine Geschichte, Herr Offizier?« – »Erzähl mir von deiner Kindheit.« Ihre ersten Worte ließen mir das Blut in den Adern gefrieren: »Ich hatte eine Zwillingsschwester. Sie ist mit zehn Jahren gestorben. Wir hatten beide die gleiche Krankheit, akuten Gelenkrheumatismus, und dann ist sie an Harnvergiftung gestorben, dem Wasser, das stieg und stieg und stieg. Sie ist erstickt.« Sie kramte in einer Schublade und zog zwei gerahmte Fotografien hervor. Die erste zeigte die Zwillinge, Seite an Seite, mit großen Augen und Bändern im Haar, etwa zehn Jahre alt; das andere die Tote im Sarg, von Tulpen umrahmt. »Zu Hause haben wir dieses Foto aufgehängt. Von diesem Tage an hat meine Mutter keine Tulpen mehr ertragen können, den Geruch von
Weitere Kostenlose Bücher