Die Wohltäter: Roman (German Edition)
interessiert, aber Ninos konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Redakteur auch deshalb in die Floridareise in der Touristenklasse eingewilligt hatte, um Ninos und Emil für ihre gute Arbeit zu belohnen. Es würde das Wohlwollen des Redakteurs doch sehr auf die Probe stellen, ihm anschließend eine Hotelrechnung von weiteren vierzehntausend Dollar zu präsentieren. Sie waren offenbar gezwungen, sich auf andere Weise Zutritt zu Fisher Island zu verschaffen.
Am nächsten Morgen erläuterte Ninos Emil beim Frühstück seinen Plan. Ninos war fest entschlossen, sich nicht von irgendwelchen merkwürdigen Regeln aufhalten zu lassen. »Wir müssen uns bei Leuten einschmeicheln, die dorthin wollen«, erklärte er Emil.
»Du meinst, wir sollten ein paar Millionäre kennenlernen, oder wie?«, fragte Emil misstrauisch.
Ninos nickte. Etwas in dieser Richtung hatte er sich vorgestellt. Der erste Schritt war, dass sie selbst wie die Oberklasse aussehen müssten, erklärte er seinem Kollegen. Emil versuchte zu widersprechen und entgegnete, dass die Zeitung kaum für neue Kleidung aufkommen würde. Auch nicht für Ferraris. »Wir können hier kein Miami Vice herbeizaubern«, sagte er.
Aber Ninos brachte ihn zum Schweigen. Es ginge lediglich um die Kleidung, und er würde in diesem Fall selbst dafür aufkommen, weil dies auch sein ganz persönliches Interesse sei. Vor seinem Autounfall hatte er zwei vollständige Garderoben besessen, mit denen er sich an verschiedene Gruppen und soziale Klassen anpassen konnte. Nachdem er allerdings vier Kleidergrößen zugelegt hatte und noch immer ein paar Kilos zu viel an den verkehrten Stellen hafteten, hatte seine Mutter alles in die Türkei und nach Syrien geschickt. Ninos hatte vergeblich versucht, einige Designerjeans und teure Lederjacken zu retten.
Emil hielt nicht viel von diesem Plan. Da er selbst jedoch keine raffinierteren Ideen präsentieren konnte, stimmte er zu, Ninos bei seiner Shoppingrunde zu begleiten.
Es fiel auf, dass Versace in Miami ein großer Name war. Auch was der Designer nicht entworfen hatte, ähnelte seinem Stil, mit viel Gold, Mustern und engen Schnitten, die viel Haut zeigten.
Ninos hatte bisher lediglich einige Pullover erstanden, als sie bei einer Boutique namens Aras ankamen. »Kommen Sie herein, und ich werde Sie so kleiden, dass Sie nie falsch angezogen sind«, verhieß ein Schild im Schaufenster, das mit kunterbunten Herrenhemden, farbenfrohen Tüchern und einigen Variationen von Herve Legers ultrakurzen Bandagekleidern aus Stretchmaterialien dekoriert war.
Ninos ging hinein und zog sofort die Aufmerksamkeit einer jungen Verkäuferin auf sich, die schwere, verlängerte Wimpern und große Goldohrringe trug. Sie hatte volles, blondes Haar, aber einen dunklen, pudrigen Hautton. Ninos erklärte, dass er etwas suche, um seinen noch immer ein wenig zu großen Bauch zu verbergen. Sie nickte verständnisvoll und führte ihn in eine Umkleidekabine, in die sie nun mehrere pastellfarbene Leinenanzüge mit etwas längeren Hemden dazu reichte. Ninos stellte bald fest, dass er in den Kombinationen wie ein Lachguru aussah, aber er wollte alle Kleidungsstücke wenigstens anprobieren.
Emil, der nun noch uninspirierter von Ninos’ Plan war als zu Beginn, ließ sich auf dem Sofa nieder, das für Begleitpersonen vorgesehen war, und blätterte in einer Zeitschrift.
Ninos kämpfte gerade mit einem Reißverschluss, als er plötzlich jemanden brüllen hörte. »Mar lu hmorawo dothe li dukano.« Jemand hatte gerade in seiner Muttersprache einen Esel dazu aufgefordert, wieder in den Laden zurückzukehren. Er steckte seinen Kopf hinaus und sah einen etwa fünfzigjährigen Mann, der telefonierte.
»Suryeyto’hat?«, fragte Ninos die Verkäuferin. Sie schüttelte den Kopf und sagte, sie verstehe ihn nicht – sie sei halb Deutsche, halb Kubanerin. Der Eigentümer stamme dagegen aus dem Libanon. Er hatte jetzt sein Gespräch beendet und sah sie an.
»Hedi hedi, butlokh risheyna«, sagte Ninos und lachte. »Immer mit der Ruhe! Uns rauchen sowieso schon die Köpfe. Guten Tag. Ich bin ein Melke Mire, aus Midyat. Dort drüben sitzt mein Kumpel Emil, er ist Schwede.«
Der Ladenbesitzer brach in euphorische Begrüßungsphrasen aus. »Bsheyno, ahla u sahla!« Er ging auf Ninos zu und küsste ihn dreimal auf die Wangen. Ohne Vorwarnung ging er dann auch zu Emil hinüber, der in eine Reportage über amerikanische Cheerleader versunken war, und zog ihn vom Sofa hoch, um
Weitere Kostenlose Bücher