Die Wohltäter: Roman (German Edition)
darüber abzugeben, wie ungünstig sie im Weg standen.
»Hallo. Ich bin Karin Edman vom Rundfunk. Ich würde gern mit dir darüber sprechen, was du alles durchgemacht hast.« Sie streckte einer verblüfften Tuva ihr rechte Hand entgegen.
In ihrer linken Hand hielt sie ein Mikrofon am Körper und machte keine Anstalten, es zu heben, aber Ninos sah, dass das rote Lämpchen dennoch blinkte. Alles, was gesagt wurde, würde sofort auf Band aufgenommen, noch bevor jemand sein Einverständnis zum Interview gegeben hatte.
Ninos streckte seinen Arm aus und schob Tuva hinter sich. »Keine Angst. Ich erledige das«, sagte er beruhigend.
»Entschuldigen Sie«, sagte Karin in einem provokanten Tonfall, der keineswegs entschuldigend klang. »Dies ist meine Story. Ich werde sie interviewen.« Sie machte eine Vierteldrehung um Ninos herum und stand direkt vor Tuva. Ihr Gesichtsausdruck war freundlich und sympathisch.
»Das alles muss ganz fürchterlich für dich gewesen sein. Ich habe mit deiner Freundin Josefin gesprochen. Daher weiß ich, wer du bist. Sie war der Meinung, dass wir beide einmal miteinander reden sollten. Dein Vater sagte, du würdest mit diesem Flugzeug ankommen, also habe ich auf dich gewartet. Es ist wichtig, dass die Menschen erfahren, was dir zugestoßen ist.«
Tuva sah sie unsicher an. »Ich weiß nicht ... «
Ninos unterbrach sie und richtete sich an Karin. »Sie ist müde. Sie müssen morgen anrufen. Und sie heute in Ruhe lassen.«
Karin wollte gerade den Mund zu einer Antwort öffnen, als Tuva sich an ihnen vorbeischob und in die Menschenmenge sauste, wo sie jemanden entdeckt hatte, den sie kannte. Ninos stellte sich schwankend auf Zehenspitzen und sah nur von Ferne Tuvas Rücken und ihre langen Haare von etwas umschlossen, was vermutlich Bo Fagerlunds Arme waren. Eine ältere Ausgabe von Tuva, allerdings mit kurzen Haaren, schluchzte laut und umarmte sie beide.
Karin war Ninos’ Blicken gefolgt und hatte dasselbe entdeckt. Sie bedachte Ninos mit einem wütenden Blick. »Musste das jetzt sein?«
Ninos verlor die Geduld und stellte ihr eine Gegenfrage. »Was stimmt bloß mit euch Journalisten nicht? Begreift ihr denn nicht, was ihr manchmal anrichtet?«
Karin sah verwundert aus. »Was meinen Sie? Ich mache doch nur meinen Job.«
»Es hilft aber nicht, wenn man sich dabei immer so idiotisch aufführt. Dieses Mädchen ist am Ende. Sie wurde in einer Sekte einer Gehirnwäsche unterzogen. Man hat Tuva eingesperrt, weil Sie angerufen und versucht haben, sie zu erreichen. Glauben Sie wirklich, Sie sind die Erste, mit der Tuva sprechen möchte? Sie hätten wenigstens selbst hinfahren können, anstatt hier in Arlanda herumzuhängen.«
»Aber Sie sind doch selbst Journalist«, antwortete Karin beleidigt. Sie dachte nicht daran, ihm zu erzählen, dass es ihr nicht gelungen war, das Radio davon zu überzeugen, sie nach England zu schicken. »Oder sind Sie etwa ihr Leibwächter?«
Ninos musste sich beherrschen. Dann griff er in seine Tasche und holte ein Blatt hervor.
»Hier«, sagte er und drückte ihr die Liste der Notwendigen in die Hand.
Karin betrachtete zuerst das zusammengefaltete Papier, dann Ninos. »Was ist das?«
»Das ist Ihre Story. Sie bekommen sie von mir geschenkt. Ich bin kein Journalist mehr.« Er warf ihr einen eindringlichen Blick zu. »Ich bin nicht wie ihr.«
Dann ging er ruhig an ihr vorbei hinaus zu Zoran, Stojan und Matay, die im Auto auf ihn warteten.
Als Ninos in seiner Wohnung in der Pipersgata ankam, hatte er noch nicht einmal Lust, den Türgriff zu betätigen, sondern lehnte sich gegen die Tür und drehte gleichzeitig den Schlüssel im Schloss um. Vor seiner Tür stand ein alter Pappkarton mit Mappen und Dokumenten, die er mit dem Fuß über die Schwelle schob.
In der Wohnung sank er sofort aufs Sofa und fiel kurzzeitig in einen Dämmerzustand. Dann öffnete er die Augen und betrachtete die Risse in der Decke, ohne sich rühren zu wollen. Er war so furchtbar müde. Und hungrig, aber nicht hungrig genug, um sich vom Sofa zu wälzen und den Weg zum Kühlschrank zurückzulegen, wo vermutlich sowieso nichts Essbares zu finden war.
Er phantasierte, wie es wäre, ein gutes Restaurant anrufen zu können und dort Essen nach Hause zu bestellen. Vielleicht war das seine neue Geschäftsidee. Das, oder MackMire. Journalismus schien ihm keine zukunftsträchtige Branche zu sein. Ebenso wenig wie die Rettung sinnsuchender schwedischer Damen. Er lächelte schwach vor sich hin.
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