Die Wohltäter: Roman (German Edition)
und vergaß hin und wieder, es an den Mund zu setzen, wenn er der schreienden Meute einheizen wollte: »AFF-AFF-AFF.«
Das Ergebnis war nicht gerade rhythmisch. Drüben im Rang des Fanclubs Zelges, wo die meisten Fans in Rot und Weiß gekleidet waren, holperte eine Trommel eher leidlich im Takt.
Im ersten Spiel der Saison knöpfte sich der assyrische Verein AFF seinen Erzfeind Umeå FC vor. Zwar handelte es sich lediglich um ein Testspiel, aber die Premiereerwartungen lagen bereits knisternd in der Luft. Auf den Sitzplätzen der Ränge saßen zwei Reichstagsabgeordnete und ein Kommunalrat. Die wirkliche Party aber kam auf den Stehplätzen im Rang gegenüber in Gang. Unter den herbeiströmenden Fans waren kleine Jungen mit Gesichtsbemalung in assyrischen Farben, elegante junge Frauen mit Kinderwagen, Greisinnen auf dem Weg zu einem etwas anderen Kaffeekränzchen, Herren in feinstem Zwirn, ein Priester, ein Mönch und vier Fans in Rollstühlen, um die sich nun viele der anderen Anhänger drängten, um sie die Rampe zu den Rängen hinaufzuschieben. Dort hatte sich auch Ninos‘ gesamte Familie niedergelassen. Seine Mutter hatte bisher kaum ein Heimspiel verpasst. Dasselbe galt für die meisten seiner zweiundvierzig Cousins und Cousinen. Die Mutter verlangte ausnahmslos, dass die ganze Familie zu den Spielen kam, um die Nationalmannschaft zu unterstützen, aber das musste sie fast nie laut aussprechen. Alle tauchten auf, und das Ereignis war ein entspanntes Familientreffen und blutiger Ernst zugleich. Für die jüngere Generation boten die Spiele auch eine willkommene Gelegenheit, sich besonders schick zu machen und ein wenig zu flirten.
Ninos liebte seine Mannschaft, aber er schämte sich dafür, dass er so unattraktiv aussah, als er sich langsam den Weg zum Rang hinaufbahnte und dabei von ungefähr jeder zweiten Person mit langen und umständlichen Begrüßungsprozeduren aufgehalten wurde. Manuel hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten, und hatte ihn in seiner Wohnung abgeholt. Ninos Ausflug zu Ingrid nach Sundbyberg wurde mit keinem Wort erwähnt.
Einer von Ninos Onkeln grölte, als er seinen Neffen erblickte. »Qaj l’ekmahwet? Warum lässt du dich nie blicken? Wie geht es dir?«
»G’qitlinanokh!« Onkel Fuat hatte sich ebenfalls zu ihnen gesellt, noch bevor Ninos seinem anderen Onkel antworten konnte. Ninos lachte. Sein Gruß hieß buchstäblich übersetzt »ich bringe dich um«, bedeutete gleichzeitig aber auch »ich liebe dich«.
Wenn ein Angeklagter in einem schwedischen Gerichtsverfahren die feinen Nuancen nicht selbst in Worte fassen konnte und die Hilfe eines Dolmetschers benötigte, war die Übersetzung dieses Ausdrucks nicht immer glücklich gewesen. In mehr als einem Fall hatte Ninos aufstehen und protestieren müssen, wenn einer seiner Freunde unbedacht eine derartige Konversation wiedergab, die das Gericht als Drohung interpretierte.
Ninos winkte allen Verwandten zu und gesellte sich dann zur Familie. Die meisten Verwandten saßen. Einmal hatte sein Cousin Robil, der bei einem der Spiele Anheizer war, per Lautsprecher gefordert, sie sollten aufstehen, aber selbst nachdem alle aufgestanden waren, hatte Robil weiterhin hysterisch in den Lautsprecher gebrüllt. Nubar, ein anderer Cousin, der ebenfalls nur knapp einen Meter siebzig groß war, hatte zurückgeschrien: »Wir stehen ja, aber wir sind eben keine Wikingerhünen! Bist du blind?«
Zoran drängte sich durch die dichte Menschenmenge und begrüßte alle. An seiner Hand führte er eine teuer gekleidete, dunkelhaarige Schönheit. Sie schwankte ein wenig auf ihren hohen Absätzen und versuchte, sich mit einer energischen Kopfbewegung die Haare aus dem Gesicht zu schütteln. Italienisch, tippte Ninos.
»Hallo Bruder. Sag Sofia guten Tag«, forderte Zoran ihn auf, der den Arm um sie gelegt hatte. »Du weißt, sie arbeitet bei der UN. Sie ist ein paar Tage hier und kümmert sich um mich – statt um alle anderen Hilfsbedürftigen.« Er lachte laut.
Sofia lachte ebenfalls, obwohl sie nicht verstand, was er gesagt hatte, und strich einige Falten ihres honigfarbenen Kleides glatt. Feinstes Ziegenleder, dachte Ninos. Typisch Italienerin. Hoffentlich würde es nicht beginnen zu regnen. Oder schlimmer noch, zu schneien! Bisher schien das Wetter ihnen jedoch wohlgesonnen zu sein, auch wenn der Frühling noch nicht richtig Einzug gehalten hatte.
»Willkommen«, begrüßte Ninos sie auf Englisch, als es ihm nicht gelang, ein paar italienische Phrasen
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