Die Wohltäter: Roman (German Edition)
entgegen. Ninos erwiderte ihren Händedruck und setzte sich neben sie. Vor ihnen auf dem Tisch stand eine Schüssel mit giftgrünen Staubsaugern. Ninos war kurz davor, sich eines der Marzipanröllchen zu nehmen, beherrschte sich dann jedoch, um abzuwarten, ob die anderen den Anfang machten.
Die Tür wurde geöffnet und ein junger Mann stürmte herein. »Bitte vielmals um Entschuldigung, aber ich war an der Reihe, die Kinder wegzubringen.«
Ninos betrachtete ihn neugierig. Ein ungebügelter Hemdkragen kräuselte sich unter dem Pullover mit V-Ausschnitt, der auf der einen Schulter einen kleinen, weißen Fleck hatte. Er war kaum älter als dreißig, hatte weißblondes, raspelkurzes Haar und hellgraue Augen. Welche Kinder hatte er wohl weggebracht und wohin, fragte sich Ninos.
Marie-Louise und Sigge Strömmer nickten ihm zu, und er ließ sich wie ein Sandsack auf einen der Stühle plumpsen. »Das ist Emil«, sagte Marie-Louise. »Unser Wirtschaftsreporter.« Er begrüßte Ninos mit einem Nicken.
»Also, Ninos«, begann Strömmer ein wenig ungeduldig. »Am Telefon haben Sie gesagt, Sie hätten Beweise dafür, dass HHH von einer dänischen Sekte geleitet wird. Darüber kursieren schon lange Gerüchte, aber bisher hat das niemand nachweisen können. Was können Sie also vorlegen?«
Ninos war mit Ingrid genau durchgegangen, was er sagen sollte. »HHH ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die Altkleider sammelt und weiterverkauft. Die Einnahmen sollen den Armen in Afrika zugutekommen. Das ist ihre Idee. Außerdem sammeln sie in der Stadt mit der Büchse Geld, das ebenfalls wohltätigen Zwecken zugutekommen soll. Ein Teil der Kleidung wird auch tatsächlich verschickt.«
Er sah sie an, um zu prüfen, ob sie ihm folgen konnten.
»Ich bin mit einer Frau in Kontakt, die bei den Ausbildern dabei war. Der dänischen Sekte also. Sie sagt, dass HHH von Anfang an zu ihnen gehört hat und die Ausbilder das Geld selbst eingesteckt haben. Sie wird uns helfen, und sie kennt weitere Informanten, die uns dasselbe bestätigen können. Außerdem hat sie Kontakt zu jemandem, der immer noch dabei ist, und zwar weit oben in der Hierarchie.«
»Sie sagten, Sie hätten Beweise?« Strömmer wippte unter dem Tisch ein wenig mit seinem Fuß, was Ninos irritierte.
Er zog eine ordentliche Mappe aus seiner Tasche und breitete die Dokumente auf dem Tisch aus.
»Dies sind Kopien von Rechnungen und Zahlungen von HHH in Schweden. Vieles daran wirkt faul. Hier zum Beispiel.« Er hielt eine Rechnung hoch. »Sie haben hunderttausend Euro auf ein dänisches Konto überwiesen – vermutlich an eine der Schulen der Ausbilder.« Er zog ein anderes Dokument heraus. »Und hier wurden fünfzigtausend Euro Gehalt auf eine Bank in der Schweiz überwiesen. Wofür hat man Angestellte in der Schweiz, die Lohn gezahlt bekommen? Oder hier – eine Quittung darüber, dass man zweihunderttausend auf ein Konto in Belize eingezahlt hat – wo landen all diese Gelder?«
»HHH ist wohl nicht nur eine rein schwedische Organisation«, bemerkte Strömmer.
»Nein, soweit ich weiß, gibt es sie auf der ganzen Welt«, bestätigte Ninos und nickte.
»Dann ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie Geld in verschiedene Länder transferieren, oder?«
»Nein«, räumte Ninos ein, »aber worum handelt es sich bei all diesen Zahlungen? Wohin gehen sie? Ist es nicht merkwürdig, dass die Organisation so viele Überweisungen vornimmt? Meiner Vermutung nach handelt es sich um Scheinrechnungen, um die Organisation vom Geld zu befreien.«
Marie-Louise reckte ihren Hals und sah ihn über ihre Brille hinweg an, die ein wenig nach unten in Richtung Nasenspitze gerutscht war. »Scheinrechnungen? Wie meinen Sie das?«
Unglaublich, dass jemand nicht wusste, was Scheinrechnungen waren, dachte Ninos. »Man schreibt sich selbst eine erfundene Rechnung, um Geld aus der Firma ziehen zu können, indem man so tut, als würde man diese Rechnung bezahlen. Aber niemand hat als Gegenleistung etwas verkauft.«
Marie-Louise gab sich nicht zufrieden. »Aus welchem Grund aber sollte eine Wohltätigkeitsorganisation so etwas tun?«
»Weil das Betrüger sind!«, entfuhr es Ninos lauter als gedacht. »Eine Hilfsorganisation sollte doch eigentlich noch ehrlicher arbeiten als ein normales Unternehmen. Sie bekommt Geld von Menschen, die etwas Gutes tun wollen, und steckt das Geld selbst ein. Das bestätigen ja auch die Aussteiger.«
Marie-Louise nickte. »Vielleicht. Aber gerade das ist ja so
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