Die Wohltäter: Roman (German Edition)
mit ihrem Stift darauf, bis Sigge das Geschriebene las, während sie eifrig weiterredete. »Das wird eine ganz wunderbare Sache, Ninos. Willkommen bei uns.«
Vor vielen Jahren, als seine Mutter noch in einer Wäscherei in Deutschland arbeitete, hatte Ninos gelernt, auf den Kopf Gedrehtes zu lesen. Weil sie Analphabetin war, hatte er sich beigebracht, Schilder, Dokumente und Anweisungen aus allen Perspektiven zu lesen, um ihr im neuen Land behilflich zu sein. Besonders anwendbar war die Methode, wenn Beamte Bemerkungen in Dokumente eintrugen, die er schnell lesen und der Mutter übersetzen musste, damit sie mitbekam, was vor sich ging.
Integrationsbeihilfe, las er nun mit Leichtigkeit auf dem Block, der ihm gegenüber lag.
Ingrid hatte recht gehabt, dachte Ninos fröhlich. Er lächelte seinen neuen Partner Emil breit an, der seinerseits vollkommen ahnungslos wirkte.
Eine Weile später saßen beide in Emils Büro, jeder mit einem Becher aus ungebleichter Pappe.
»Jaja«, sagte Emil etwas keck, »das eben war ein unerwarteter Sieg für dich. Aber ich freue mich.«
Ninos strahlte ihn an.
Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatten, sah Ninos sich gezwungen, etwas zu sagen. »Entschuldige, aber du hast einen Fleck auf deinem Pullover. Hast du ihn schon bemerkt? Da, an der Schulter.«
Emil drehte seinen Kopf so schnell, dass der Kaffee über den Rand des Bechers hinwegzuschwappen drohte. Er konnte den Fleck nicht sehen, weil er direkt unter seiner Nasenspitze lag. »Da«, zeigte Ninos erneut, und jetzt entdeckte auch Emil ihn.
»Oje«, sagte er beschämt. »Unsere gesamte Familie hatte eine Mageninfektion, weißt du.«Er rieb mit seinen Fingern an dem Fleck, ohne eine Veränderung zu erreichen.
Ninos wich zurück.
»Nein, nicht ich«, sagte Emil. »Ich habe drei Kinder. Die haben es nun schon den ganzen Monat abwechselnd.«
»Und was ist mit dir?«, fragte Ninos vorsichtig, denn er selbst verabscheute Übelkeit. Er sah bereits vor sich, wie Emil und er über der Toilette hingen und sich abwechselnd schwallweise erbrachen, anstatt Sektenmitglieder zu jagen.
»Kein Grund zur Besorgnis. Ich habe es bereits überstanden«, entgegnete Emil unbekümmert.
Ninos war nicht sonderlich überzeugt, entschied sich aber dafür, sein Unbehagen beiseitezuschieben. »Wie willst du es angehen?«, fragte er stattdessen.
»Am Anfang sollten wir eine Archivrecherche über HHH starten«, schlug Emil vor. »Dann rufe ich bei Sida an und bitte sie, uns den Bericht vorzulegen. Und danach werden wir beide gemeinsam die Dokumente durchgehen, die du mitgebracht hast. Weißt du, was für eine Organisationsform sie haben? Sind sie eine Stiftung oder ein privatrechtlicher Verein?«
In Ninos’ Kopf drehte es sich, und er ahnte, dass dies nicht allein von den Schmerztabletten herrührte. Aber er mochte Emil. Er schien etwas Aufrichtiges und Handfestes an sich zu haben.
»Ein Verein, glaube ich. Aber sie haben ein 90er-Konto«, antwortete Ninos. »Um das zu erreichen, muss man ein Verein sein, der keinen Gewinn erwirtschaftet, und von dem, was man einnimmt, müssen mindestens sechzig Prozent für wohltätige Zwecke verwendet werden.«
»Also kann fast die Hälfte für etwas anderes eingesetzt werden? Das klingt ganz schön viel.«
»Ja, aber das beinhaltet wohl auch Raummiete und so etwas. Sie müssen einer Stiftung, die alle Vereine überwacht und kontrolliert, einen Finanzbericht vorlegen, aber als ich dort angerufen habe, hat man mir mitgeteilt, dass sie keine Kopien davon herausgeben. Sie sagen, man müsse ihnen vertrauen.«
Emil schlug im schwedischen Firmenregister nach und öffnete ein Fenster mit »Hilfe von Hand zu Hand«. Er stöhnte frustriert. »Privatrechtlicher Verein, du hast recht. Arbeitgeber. Keine Umsatzsteuerregistrierung«, las er. Er wandte sich Ninos zu. »Eventuell finden wir einen alten Strafbescheid vom Finanzamt, aber nicht viel mehr. Sie müssen noch nicht mal einen Rechenschaftsbericht abgeben, es sei denn, sie haben ein paar hundert Angestellte. Aber sie könnten Firmen haben, die an den Verein gebunden sind. Vielleicht sollten wir die Namen recherchieren, die in deinen Dokumenten auftauchen?«
Ninos schob ihm den Papierstapel zu. »Bitte schön.«
Emil nahm ihn entgegen und legte ihn neben den Computer. »Schön. Ich werde jeden Namen daraus überprüfen.«
Er sah sich im Zimmer um. »Hast du einen eigenen Computer? Ansonsten kannst du gern hier sitzen, wenn du möchtest. Ich habe ein
Weitere Kostenlose Bücher