Die Wohltaeter
eine kleine, verdreckte Küche, deren Abzug völlig verstopft war und in der jede nur erdenkliche Fläche mit schmutzigem Geschirr bedeckt war. Esgab sechs Sitzmöglichkeiten. Juha fragte Ninos, ob er ihm Kaffee oder Tee anbieten könne. Ninos ließ sich auf einem Stuhl nieder und wählte widerstrebend Tee. Dann schloss er für einen Moment die Augen und stellte sich vor, er hätte einen großen Kanister Chlorin parat, den er über der ganzen Küche entleeren würde. Dieser Gedanke stärkte ihn ein wenig.
Juha setzte sich zu ihm an den Tisch und begann mit ungeschickten Handbewegungen zu rauchen. Bei einem Volkshochschulaufenthalt in Nordfinnland habe er an einer Pinnwand einen Aushang gesehen, berichtete er.
»Die haben Leute für Wohltätigkeitsprojekte gesucht und eine Ausbildung in Polen angeboten. Das kam mir gerade recht. Ich wollte sowieso aus Finnland weg und die Welt sehen. Und ich hatte schon immer vor, einmal in einer Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten. Das war mein Traum. Ich hab also die finnische Nummer angerufen und wurde zu einem Vorstellungsgespräch nach Helsinki eingeladen.«
Er unterbrach sich, um zu husten, sich zu räuspern und dann zur Toilette zu rennen, um den Schleim auszuspucken.
Ninos wand sich vor Abscheu, nutzte aber dennoch schnell die Gelegenheit, um zu prüfen, ob Emil immer noch am Telefon mithörte. Die Leitung war tot.
Juha kam zurück und hatte nach seinem heftigen Hustenanfall etwas mehr Farbe im Gesicht. Seine Stimme war jedoch noch immer heiser. »Entschuldigen Sie. Erst hatte ich eine Mandelentzündung und jetzt noch Husten. Eigentlich müsste ich zum Arzt, aber ich kann nicht auch noch darum bitten. Dabei würde noch mehr Arbeitszeit draufgehen, und ob ich Halsschmerzen habe, ist ja vergleichsweise unwichtig.«
Er trug einen dünnen, bunten Pullover, und Ninos sah schnell weg, als er beobachtete, wie Juha sich mit dem ranzigen Pulloverärmel die Nase abwischte.
»Du, ist es in Ordnung, wenn ich mein Telefon hier auflade?« Ninos stand auf, ging um Juha herum, stellte das Telefon hinter ihn und wählte Emils Nummer, damit dieser nichts von dem Interview verpasste. Er hoffte, dass Emil schlau genug wäre, sich Notizenzu machen, denn er selbst wollte Juha nicht einschüchtern, indem er sein Notizbuch hervorholte.
»Wer ist denn euer Chef?«, fragte Ninos dann mit unnatürlich lauter Stimme, falls Emil so ungeschickt sein sollte, etwas zu antworten, wenn er Ninos’ Anruf entgegennahm.
»Sie heißt Irmtraud. Sie kommt einmal in der Woche aus Deutschland. Ich werde insgesamt drei Wochen hier bleiben. Alle anderen sind draußen und arbeiten. Die ersten Tage, an denen ich Fieber hatte, war ich auch mit draußen, aber heute ging es einfach nicht.«
»Aber was macht ihr in Schweden? Hier brauchen wir doch wohl keine Helfer, ihr werdet in Afrika gebraucht, oder nicht?«, erkundigte Ninos sich. »Und warum habt ihr eine deutsche Chefin, wenn ihr in Helsinki zum Vorstellungsgespräch geht? Das verstehe ich nicht.« Er schüttelte den Kopf.
Juha zündete sich eine neue Zigarette an. Ninos war kurz davor, ihn darüber aufzuklären, wie unvorteilhaft rauchen bei Husten sei, tat es dann aber doch nicht.
»HHH arrangiert das alles. Wissen Sie, die mit den Altkleidern.«
Ninos nickte und spürte, wie sich alle Haare auf seinen Armen aufstellten, und das waren nicht wenige.
»Es gibt viele Läden hier«, fuhr Juha fort. »Man kann entscheiden, ob man das Geld auf einmal bezahlt oder ob man sich einen Teil des Kursgeldes als Freiwilliger verdienen will. Weil ich nicht viel hatte, habe ich mich hier angemeldet.«
»Und wie verdienst du dir den Rest?«
»Wir gehen mit Sammelbüchsen herum und sammeln Spenden, wir verkaufen auf Straßen und Plätzen Ansichtskarten, wir helfen in den Läden und in der Sortieranlage. Ich bekomme dreihundert pro Woche für Essen und Zigaretten. Der Rest kommt zum einen wohltätigen Zwecken zugute und ist zum anderen das, was ich HHH noch für meine Ausbildung schuldig bin.«
Man könnte es auch Sklaverei nennen, dachte Ninos stumm. »Also bezahlst du deine Schulden ab. Weißt du denn, was du ihnen noch schuldig bist?«
»Sie führen Buch für mich«, antwortete Juha voller Überzeugung. »Aber wahrscheinlich dauert es nur noch ein paar Monate. Dann geht es für mich nach Südamerika, wo ich den Armen helfen werde.«
Bei seinem letzten Satz leuchteten seine Augen.
Jemand öffnete die Wohnungstür, und ein hübsches Mädchen in Juhas Alter mit
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