Die Wohltaeter
dass ihn jemand auf der anderen Seite des Tresens heranwinkte. Eine Horde Anzugträger, die Türkisch-Pfeffer-Schnäpse trinken wollten. Die Trinkgewohnheiten der Schweden waren nicht gerade kultiviert, dachte Ninos einmal mehr, als er begann, das Gesöff in eine Reihe kleiner Gläser auszuschenken.
Obwohl man eigentlich von Glück reden konnte, dass meistens exakt ein einziger Drink auf einmal in Mode war – was ihnen ausgezeichnet passte, denn so gewannen sie Zeit, um die billigste Herstellungsart zu entwickeln. Ninos konnte sich damit rühmen, derjenige gewesen zu sein, der die perfekte Methode gefunden hatte, um flüssiges Türkisch Pfeffer selbst herzustellen, statt das fertige Produkt zu einem teuren Preis zu erstehen. Man kaufte kartonweise von der starken Lakritze namens Türkisch Pfeffer ein. In leere Plastikflaschen umgefüllt, konnte man die Süßigkeiten während eines Spülmaschinendurchlaufs zum Schmelzen bringen. Nun wurden die Flaschen zur Hälfte mit spezialimportiertem Wodka aufgefüllt. Noch ein Spülgang – und alles war miteinander verschmolzen. Ein Riesenhit, den die Schweden bis zur Besinnungslosigkeit tranken. Für gewöhnlich wurden mindestens fünf Liter davon am Abend verkauft.
Zwölf Stunden und eine geraume Anzahl starker Schmerztabletten später hatte Ninos zum ersten Mal Zeit, seine Schicht für eine kurze Essenspause zu unterbrechen. Er wollte nachsehen, wie es seinem Cousin Matay ging. Dieser war vor einigen Monaten von Syrien nach Schweden gekommen und hatte in der Gaststätte eine Stelle als Tellerwäscher bekommen. Sowohl er als auch Ninos waren Assyrer oder Chaldäer oder auch Aramäer, je nachdem, wen man fragte.
Durch den heißen Wasserdampf konnte er nichts erkennen, also rief er blind »Kif Saha?«, um sich nach dem Befinden des Cousins zu erkundigen. »B’sheyno« lautete seine müde Antwort.
»Ich werd dir was Neues beibringen«, sagte Ninos auf etwas zu schnellem Schwedisch, um den Cousin aufzumuntern, der hinter einem Stapel schmutziger Teller mit brauner Soße zum Vorschein kam. »Alles in Butter kann man antworten, wenn einen jemand nach der Lage fragt.«
»Bayso looooo«, schnaubte Matay und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. «Das haben sie uns alles schon im Sprachkurs erzählt. Wie geht’s?, fragte er mit piepsiger Stimme. »Ganz gut. Danke der Nachfrage.« Matay lachte entzückt über seine eigene Aussprache. Zwar war sie nicht perfekt, den Tonfall seiner Lehrerin im Kurs Schwedisch als Fremdsprache konnte er jedoch schon ziemlich gut imitieren.
»Im Übrigen scheinen die einem vollkommen falsche Sachen beizubringen«, sagte Matay und wechselte ins Assyrische. »Kein einziger Schwede hat mich je gefragt, wie es mir geht, und wenn ich selbst einmal versuche, sie zu fragen, starren sie mich nur an. Man sagt einfach nur hej und was man will.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber trotzdem danke für den Tipp.«
Ninos nickte entmutigt und musste ihm recht geben. Beim Abwaschen lernte der Cousin jedenfalls weder die Sprache noch die Sitten der Schweden. Ebenso wie Ninos sprach Matay ausgezeichnet Arabisch, Assyrisch, Kurdisch, Türkisch, Spanisch und akzeptabel Englisch. Ninos, der als Gastarbeiterkind nach München gekommen war, sprach außerdem Deutsch und seit seinem zehnten Lebensjahr auch Schwedisch. Wenn es ihm damals gelungen war, die Sprache zu lernen, konnte es auch für seinen Cousin nicht so schwierig sein, fand er.
»Du hast mir ja geraten, die Radiosender zu hören, auf denen sie die ganze Zeit nur sprechen«, setzte Matay sein Klagelied fort. »Okay, letzte Woche, als ich nicht schlafen konnte, hab ich’s versucht. Es ging um zwei Menschen, die im Gebüsch lagen und auf irgendwelche Vögel warteten. Zwei Stunden lang! Ich wäre in dieser Zeit fast gestorben vor Langeweile, und die Vögel kamenauch nicht. Zwischendurch waren sie sogar vollkommen still. Zuerst dachte ich, es wäre ein Theaterstück, aber dann habe ich verstanden, dass man lediglich geplant hatte, all diejenigen zu quälen, die nachts nicht schlafen können. Am Ende hatten die Vögel beinahe schon eine mystische Bedeutung für mich, verstehst du?«
Ninos lachte. »Du solltest vielleicht nicht gleich mit etwas so Extremem einsteigen.« Ein Freund, der Schneider sei, schwöre jedenfalls, dass er mithilfe solcher Radioprogramme Schwedisch gelernt habe.
In weniger als einer halben Minute hatte Matay sechsundzwanzig Teller in einer Kiste gestapelt, die er zwischen die
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