Die Wohltaeter
Plastikringe auf dem Transportband platzierte.
Er hatte seine Frau und seine zwei Kinder kurzfristig in Aleppo zurücklassen müssen, nachdem ein syrischer Richter ihn des Separatismus angeklagt hatte, da seine Organisation »Assyrische Stiftung für Sprache und Aufklärung« nach Meinung der Behörden zu weit gegangen war in ihrem Streben, die Muttersprache Jesu oder suryoyo, wie sie die Sprache nannten, unter den Kindern in der Umgebung zu verbreiten.
Matay hatte große Schwierigkeiten gehabt, der Dame von der Einwanderungsbehörde zu erklären, warum er als Assyrer – das Volk, das auch als Chaldäer oder Aramäer bezeichnet wird – nicht immer willkommen war in Syrien, wo viele von ihnen geboren waren. Die Menschen dort nannten sich Syrer, hatte er ihr zu erklären versucht. Dass er anschließend eine vierte Definitionskategorie anführte, verärgerte sie hauptsächlich. Er erklärte, dass es im gesamten Mittleren Osten Christen gab, die von der ursprünglichen Bevölkerung des ehemaligen Mesopotamien abstammten und über die südöstliche Türkei, den Libanon, den Norden Syriens, den Irak und den Nordwesten des Iran verteilt lebten. Aufgrund verschiedener heikler, historischer Gründe bezeichnete man sie jedoch unterschiedlich. Als er bei diesem Teil seiner Erzählung angelangt war, hatte er die Angelegenheit beinahe selbst als kompliziert empfunden. Tatsache war jedoch, dass die syrische Regierung Aktivitäten, welche die Aufklärung über eine Minderheit zum Zielhatten, nicht wohlgesonnen gegenüberstand. Das, so verstand er, hatte sie schließlich akzeptiert.
Matay selbst war mit der Zeit zu dem Ergebnis gekommen, dass ihre eigene Zersplitterung und Unentschlossenheit die größte Bedrohung für die Assyrer (oder wie sie sich sonst bezeichnen mochten) darstellte. Er vermied es, sich auf Diskussionen über Ethnizität und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kirchen einzulassen. In seinen Augen gehörten sie alle zu ein und demselben Volk; der Wiege der Zivilisation entsprungen – Bethnahrin –, und sie besaßen vieles, auf das sie stolz sein konnten. Demgemäß konnten Sprache und Traditionen für diejenigen, die es wollten, bewahrt werden, und dies hatte Matay sich zur Lebensaufgabe gemacht. Er hatte Vorträge vor assyrischen Kindern gehalten, um sie zu lehren, von wem sie abstammten und was sie zu den Verdiensten ihrer Vorväter zählen konnten. Das erste geschriebene Wort, die erste Bibliothek, das erste Gesetz, pflegte Matay beispielsweise zu sagen. Und profanere Dinge wie das erste Bier, die erste Dauerwelle und die ersten Bälle. Das Letztgenannte überzeugte die Kinder meistens. Die Astrologie, von der seine Frau vollkommen besessen war, gehörte ebenfalls zum Erbe der Assyrer.
Trotz all seiner Ideen und Ambitionen konnte Matay, wenn nötig, auch sehr pragmatisch sein. Er hatte einfach Pech gehabt. Und seine parallelen, etwas mehr auf den Gesellschaftsumsturz ausgerichteten Aktivitäten waren tatsächlich etwas zwielichtig gewesen. Am Ende hatte es nicht mehr so weitergehen können. Doch auch als die zwei artigen schwedischen Staatsschützer in ihren zu kurzen Kunstlederjacken ihn verhört hatten, hatte er keinen Anlass gesehen, sich für diesen Teil seiner Geschäfte zu rechtfertigen.
»Kennen Sie jemanden, der bei der Hisbollah ist«, hatte einer der beiden gefragt und bereits seinen Stift gezückt, um die Antwort zu notieren.
Matay wäre fast in Gelächter ausgebrochen, hatte sich jedoch gezwungen, sie ernst zu nehmen, obwohl er ihnen bereits erzählt hatte, er sei Christ. Sein Problem bestand nicht darin, dass er den fanatischen schiitischen Muslimen nahestand – das genaue Gegenteil war der Fall. Aber die Kunstlederjacken schienen den Schlusszu ziehen, ein Araber sei wie der andere, woraufhin Matay verdeutlicht hatte, dass er nicht einen einzigen Imam in Schweden kenne und auch nicht plane, mit ihnen Bekanntschaft zu machen.
Der zweite Höhepunkt seines Verhörs hatte stattgefunden, als Polizist Nummer zwei einen langen Vortrag über Ehrenmorde hielt und betonte, dass diese in Schweden verboten seien, obwohl sie in »anderen Kulturen«, wie er sich vorsichtig ausdrückte, durchaus vorkamen.
Matay hatte mit einer kleinen Ausführung über Assyriens Königin Shamiram gekontert, die ungefähr achthundert Jahre vor Christus regiert hatte und in seinen Augen die erste Feministin der Welt war. Die zwei Polizisten hatten sich daraufhin einen wissenden Blick zugeworfen, und einer von
Weitere Kostenlose Bücher