Die Wohltaeter
Rundfunkgewerkschaft beizutreten, die schon mit Streik drohte, sobald ein Spalier mit Plastikpflanzen aus den sechziger Jahren aus demGebäude entfernt werden sollte. Karins erster unfreiwilliger Kontakt mit den Gewerkschaftern war zustande gekommen, als die Gewerkschaft sich darüber beklagt hatte, dass sie eine unbegrenzte Stundenzahl in der Woche arbeitete, denn sie war einen eigenen, gesonderten Arbeitsvertrag eingegangen. Dies erzeuge ein Ungleichgewicht im Dienstplan und sei den anderen Reportern gegenüber unsolidarisch, hatte man sie wissen lassen. Alle sollten sich an einer festgelegten Stundenzahl orientieren. Dieses Erlebnis hatte in Karin ein unerschütterliches Misstrauen gegen alle Gewerkschaftsformen geweckt, und je weniger Radiomitarbeiter sich organisierten, desto besser, fand sie. Was die Berichterstattung betraf, musste sie jedoch feststellen, dass ein gewisses gesellschaftliches Interesse darin bestand, zu erfahren, wie es mit der Gewerkschaftsbewegung stand.
»Vielleicht gibt es ja auch in anderen Branchen Gewerkschaften und Verbände, die bestätigen könnten, dass es eine bewährte Masche ist, Arbeitnehmer mit ausländischem Hintergrund über den Tisch zu ziehen. Was halten Sie zum Beispiel davon, einen Rundruf zu starten?«, sagte Flintberg.
»Wie sollen die denn über die Mitglieder Bescheid wissen, die sie gar nicht haben?«
»Ja, genau das sollen Sie ja herausfinden. Hören Sie sich auch ein bisschen bei den Immigrantenverbänden um, irgendjemand wird schon Bescheid wissen.«
»Okay.«
»Jemand, der Bescheid wusste – mit anderen Worten jemand, der vor Wut tobte, dachte Karin. Der elementare Grundpfeiler jedes Nachrichtenbeitrags war ein Betroffener, der vor Wut tobte. Was Karin auf der Journalistenschule gelernt hatte, galt noch immer. Damals hatte ihr Lehrer Anders in nur einer Minute die wichtigsten Zutaten für einen gelungenen Radiobeitrag zusammengefasst:
»Zunächst muss der Betroffene ein Statement wie Das ist einfach ungeheuerlich! abgeben. Dann kommt der Reporter ins Bild und fasst das Problem zusammen. Zum Beispiel den drohenden Abbau von Arbeitsplätzen in einer Fabrik. Darauf folgt der Experte. Häufig ist dies ein Mann, der das Problem bestätigt und eineunbestimmte Prognose darüber erstellt, was passieren wird, wenn drastische Gegenmaßnahmen ausbleiben. Die Gewerkschaft kann beispielsweise mit Niedrigkonjunktur und Massenarbeitslosigkeit drohen. Darauf äußert sich die Gegenseite; das heißt, jemand, der das Behauptete widerlegt, um der Forderung nach Unparteilichkeit Rechnung zu tragen, die in allen Nachrichtenredaktionen besteht. In diesem Fall wäre es der Arbeitgeber. Am Ende rundet man den Beitrag mit einer weiteren Variante von Das ist einfach ungeheuerlich! ab; idealerweise in einer etwas schärferen Form.«
Am allerbesten war es, wenn der Betroffene irgendeinen Dialekt sprach, weil dies den Eindruck verstärkte, man habe es mit einer Art Graswurzelbewegung zu tun. Besonders als Kontrast zu Karin, die selbst ein derart überheblich artikuliertes Reichsschwedisch sprach, wie der Lehrer betont hatte. Außerdem wurde das Radio dadurch lebendiger. Das »Fleisch und Blut«, von dem die vereinzelten Reporter immer faselten, die am Dramatischen Institut, der Stockholmer Schule für Film, Radio, TV und Theater, ausgebildet worden waren. Sie fanden nur selten den Weg bis in die Nachrichtenredaktionen, und wenn es ihnen gelang, wurden sie garantiert hinter ihrem Rücken von den anderen Journalisten verhöhnt. Denn die Nachrichtenbeiträge durften zwar durchaus abwechslungsreich sein, aber nicht in dem Maße, dass sie dem Hörer abverlangten, sich eine Menge Fußgetrappel und Stimmengewirr im Hintergrund mitanzuhören, die den Reportern mit DI-Ausbildung so gut gefielen.
Karin musste die verschiedenen Abschnitte im Kopf gar nicht erst durchgehen, um zu wissen, dass der Beitrag, den ihr Chef in Auftrag gegeben hatte, exakt der Formel der Journalistenschule folgen sollte. Andererseits gelang diese Methode auch immer gut, und die Experimente konnte man sich für kompliziertere Themen aufsparen.
»Der Teaser lautet demnach: Arbeitgeber hindern ausländische Mitbürger an Gewerkschaftsbeitritt – das zeigt eine Untersuchung der Echo-Redaktion«, schlug Karin vor und wartete Flintbergs Reaktion ab. Idealerweise stimmte man den Einstieg in den Beitrag mit dem Chef ab, bevor man mit der Arbeit begann, um die zuvorbestimmte These als Leitfaden zu verwenden. So kam es selten
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