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Die Wohltaeter

Titel: Die Wohltaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuri Kino Jenny Nordberg
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mit dem Filzschreiber darauf notiert. Er zeigte der Reihe nach auf die Worte und betonte sie langsam. Dann zeigte er mit dem Stift auf die junge, männliche Aushilfe, die vollkommen stumm vor ihm stand. »Verstehen Sie?«
    Karin lachte. Sie wusste genau, was Flintberg danach sagen würde. Die meisten ihres Jahrgangs hatten bereits denselben Vortrag über sich ergehen lassen.
    »Der Ausdruck Arrest existiert in diesem Zusammenhang nicht.«
    Der junge Mann nickte stumm, als Flintberg fortfuhr. »Wir produzieren die wichtigsten Nachrichtensendungen Schwedens, nicht Polizeirevier Hill Street. Wir halten uns an die schwedische Sprache. Die Polizei oder der Staatsanwalt verhaften, der Richter stellt den Haftbefehl aus. Niemand stellt jemanden unter Arrest . Ist das klar?«
    Die Aushilfe nickte erneut. Karin ging an ihnen vorbei in Studio 15. Dort saß der Techniker Marco und versuchte, das Lispeln aus einem Beitrag des Athenkorrespondenten zu entfernen. Es war ein altbekannter, boshafter Scherz unter Tontechnikern, dass ein Sprachfehler ein beinahe obligatorisches Einstellungskriterium bei Sveriges Radio war, aber die Techniker taten, was sie konnten, damit das Ergebnis erträglich klang. Marco würde mit Karin auf die Pressekonferenz fahren.
    » Hola, Edman«, begrüßte Marco sie und sah auf.
    »Hi, Marco«, antwortete Katrin gemäß der Tradition, dass man die Techniker beim Vornamen ansprach, wohingegen die Reporter stets auf den Nachnamen hörten, der auf all ihren Beiträgen im Archiv vermerkt war.
    Karin wollte gerade den Mund aufmachen, als sich einer der Produzenten direkt vor sie stellte. »Irgendjemand wird gerade aus dem Djurgårdskanal gefischt. Wenn du unbedingt das Auto brauchst, kannst du wohl kurz vorbeifahren und nachschauen, was dort passiert ist?«
    Karin wurde sauer. Dieser Tag entwickelte sich zu einem großen Witz. Erst die Gewerkschaft und jetzt auch noch eine neue Form von Boulevardjournalismus. Seit wann gab es im Radio Berichte über Leichen im Djurgårdskanal? Wahrscheinlich würde sie als Nächstes auch noch zum Karlaplatz geschickt, um dort im Park nach einer entlaufenen Katze zu suchen.
    »Worum geht es?«, fragte sie scharf.
    »Keine Ahnung. Es kam gerade über die Nachrichtenagentur rein. Man weiß noch nicht einmal, wer es ist. Aber es hat jemand angerufen und behauptet, es handle sich um einen Diplomaten. Das könnte was sein.«
    »Klar«, sagte Karin und schenkte dem Produzenten ihr unbehaglichstes Lächeln. Sie wandte sich Marco zu, der bereits aufgesprungen war und sich die Jacke angezogen hatte. »Wenn wir auch noch einen Ausflug nach Djurgård machen sollen, müssen wir auf der Stelle los.«

6
    MIRIAM    Jütland 1976
     
     
    Es hätte nichts Schöneres geben können für ein Mädchen, das sieben Jahre alt wurde. Morgens hatte man sie mit einer Torte am Bett und einem heiseren Zweimannchor geweckt. Erst kam Ia und dann Jesse, der ihr einziges echtes Familienmitglied war. Die beiden sangen so schön, fand sie. Ia hatte ihr beim Anziehen geholfen, und sie durfte all ihre Kleider selbst auswählen. Wenn sie mit den anderen Kindern zusammen war, sollte sie wie alle aussehen: grobe Schürzen und kurze Hosen. Heute aber war ihr Geburtstag, und deshalb trug sie ihr geheimes Kleid mit Volants bis zum Boden und großen Puffärmeln.
    Man hatte einige Spielkameraden ausgewählt, die ihr während des Nachmittags Gesellschaft leisten sollten. Miriam war die Einzige, die Geburtstag feierte. Keiner der anderen. Draußen im Garten hatten sie zusammen Blumen gesät. Sie hatte selbst bestimmen dürfen, welche Blumen an diesem besonderen Ort des großen Hofs wachsen sollten, der allein ihr gehörte. Es war ihre eigene Welt, die sie mit Jesse und allen, die für ihn arbeiten, teilte.
    Da sie immer von Menschen umgeben war, fühlte sie sich nie einsam. Sie sprach ausgezeichnet Dänisch und hatte nie wieder ein deutsches Wort gehört. Ihr Vater hatte ebenfalls für Jesse gearbeitet, aber er war erst sehr krank geworden und hatte sich später eine neue Familie gesucht. Deshalb konnte er nicht bei ihnen sein. Darüber hatte Jesse mehrmals mit ihr gesprochen, und sie wusste, wie traurig auch er darüber war, dass ihr Vater nicht hier war. Die beiden waren gute Freunde gewesen, hatte Jesse erzählt.
    Während des ersten Jahres in Dänemark hatte sie tagelang nurgeweint, doch am Ende hatte sie akzeptiert, dass niemand kommen und sie abholen würde. Insgeheim hatte sie den Verdacht, ihr Vater habe sie

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