Die Wohltaeter
und Neu Delhi anzeigten. Daneben befand sich die Telegrammlampe, die heulte und mit rotem Licht rotierte, sobald eine eilige Meldung hereinkam. An der anderen Wand hingen Zettel mit allen Sendungen des Tages: insgesamt dreiundfünfzig auf vier Kanälen. Nirgendwo sonst in Schweden war der Informationsfluss so massiv. Meldungen aus allen Nachrichtenagenturen der Welt liefen über die Schirme, Korrespondenten lieferten telefonisch ihre Berichte ab, und die Studioreporter mit ihren ausgebildeten Sprecherstimmen redeten in konstanter Lautstärke.
Karin stellte sich die Redaktion wie eine große Gebärmutter vor, die den Rest der Welt kontrollierte. Es war auch kein Geheimnis, dass das werbefreie Radio die meisten anderen Medien beherrschte; sie besaßen mit Abstand die besten Ressourcen und das größte Publikum. Zu Recht, fand Karin. Sie schreckte nie davor zurück, mit dem Mikrofon die Fernsehreporter und alle anderen zu verscheuchen, die nicht wussten, dass das Radio immer Vortritt hatte. Sei es im Sicherheitssaal des Amtsgerichts oder vor einem Minister im Sommerurlaub auf Fårö, der zwischendurch eine Pressekonferenz anberaumte, um den Wählern seine Handlungskraft in Erinnerung zu rufen.
Ab und zu war es vorgekommen, dass die Radiochefin von der siebten Etage, von der aus sie normalerweise regierte, in die Bereitschaft hinuntergekommen war und sich mitten in den Raum gestellt hatte.
Die Chefin des Senders, Edit Rönnberg, war eine gutaussehende Frau in den Sechzigern mit einem teuren, graugetönten Kurzhaarschnitt und einer Schwäche für enganliegende, kurze Röcke, die sie mit Oberteilen mit Tierfellmustern kombinierte. Sie trug fast keinen Schmuck, bis auf einen großen Siegelring aus Weißgold am kleinen Finger und einem metallenen Ohrknopf, der ihr rund um die Uhr das Radio ins Ohr sendete. Niemand hatte sie jeohne den Knopf gesehen, und man erzählte sich, dass sie das Gerät auch nachts nicht ausschaltete. Sie tauchte nur bei großen Katastrophen auf, und dann waren alle normalen Regeln außer Kraft gesetzt. Sogar die Chefs traten einen Schritt zurück, weil sie wussten, dass die ergraute Königin des Radios einmal selbst Chefin der Nachrichtenredaktion gewesen war. Die meisten waren ihr entweder direkt unterstellt gewesen oder kannten zumindest die Geschichten über sie.
Eine der Karins Meinung nach besseren Geschichten handelte davon, wie sie einmal einen Wutanfall erlitten hatte, als eine junge Sommervertretung einen schlechten Beitrag geliefert hatte. Das war zu einer Zeit passiert, als die Schallwellen noch nicht auf digitalem Wege in die verschiedenen Datenverbundsysteme übertragen wurden und auch nicht durch einen falschen Knopfdruck gelöscht werden konnten. Alle Reporter arbeiteten mit Bändern, die auf klobigen Tonbandgeräten um große Teller liefen. Nachdem die unglückliche Vertretung schließlich noch die Unverschämtheit besessen hatte, einen der Redakteure anzuzischen, hatte es der Nachrichtenchefin gereicht, und sie hatte den Bandteller genommen und ihn der jungen Vertretung wie einen Frisbee hinterhergeworfen, als diese sich in Richtung Ausgang bewegte. Nur dem Warnruf eines vorausschauenden Nachrichtensprechers war es zu verdanken gewesen, dass der Tonbandteller der jungen Frau nicht den Kopf abgeschlagen hatte, als er durch die Luft sauste und einen langen Tonbandschwanz hinter sich herzog, der sich wie eine Luftschlange auf dem Boden ringelte.
Von Flintberg war Karin wider Willen beeindruckt, der Radiochefin aber war sie in unkritischer Verehrung verfallen. Sie vertrat einen kompromisslosen Stil in einer Umgebung, die sich selbst verbog, um ihre Anerkennung zu ernten. Diese zeigte sie häufig und gern durch ein kurzes Nicken oder ein schnelles »gute Sache«, wenn sie ihren Mitarbeitern im Aufzug begegnete. Selten brachte jemand mehr als ein gestammeltes »danke« gegenüber der höchsten Chefin heraus, und kaum war sie gegangen, ging das Geflüster darüber los, wie es nur möglich sein konnte, dass sie offenbar tatsächlich alle Sendungen hörte.
Die einzige Person, vor der die Radiochefin Angst hatte, war der Bischof des Bistums Stockholm. Als sie einmal versucht hatte, die Tagesandacht aus dem Programm zu streichen, hatte die Wut des Bischofs den Sender in einer so ungeheuren Weise erschüttert, dass der Vorschlag nie wieder zur Sprache kam.
Flintberg hatte sich vor die große, weiße Tafel gestellt und begann zu gestikulieren. »Festnahme, Verhaftung, Haft« hatte er
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