Die Wohltaeter
beiden hatten gelernt, vorsichtig zu sein.
Manuel legte Ninos einen Umhang um und stellte ihm gleichzeitig Paloma vor, die neu im Salon arbeitete. Sie sah aus wie eine Mischung aus Jennifer Lopez und einer Indianerin, fand Ninos. Paloma erzählte, sie käme aus Kolumbien.
»Yo también hablo español«, prahlte Ninos mit mallorquinischem Akzent. »Wie gefällt dir der Salon?«
»Ich mag ihn«, antwortete sie artig. »Schön eingerichtet und hell.«
»Natürlich gefällt er dir, ich habe ihn futural eingerichtet und ein bisschen was Aramäisches ergänzt«, sagte Manuel zufrieden.
»Du meinst wohl funktional, und außerdem heißt es assyrisch«, korrigierte Ninos ihn von seinem Friseurstuhl aus.
»Ach, hör doch auf. Immer musst du mich vor anderen kleinmachen«, antwortete Manuel seinem Bruder wütend in ihrer gemeinsamen Muttersprache. Dann wechselte er ins Schwedische. »Wieg nicht immerzu alles auf der Goldwaage.«
Ninos lachte. »Geliebter abicim, es heißt auf die Goldwaage legen.«
Manuel stöhnte laut. »Aber weißt du, es ist mir egal. Ich sage futural und du sagst funktionistisch, ist sage wiegen, du sagst legen, ich sage Aramäer und du sagst Assyrer. Wenn kümmert’s? Es verstehen doch alle, was gemeint ist.«
»Was willst du aus dieser Katastrophe machen?«, fuhr Manuel fort und kämmte Ninos’ zottiges Haar. »Du siehst aus wie ein Müllsack.«
Ninos betrachtete sich im Spiegel. Sollte er vielleicht einfach alles abschneiden lassen? Er zuckte mit den Schultern.
»Mach, was du willst.«
»Okay, aber beschwer dich hinterher nicht bei mir«, antwortete Manuel und bereute seine Antwort bereits ein wenig.
»Ich verspreche, mich nicht zu beklagen«, sagte Ninos, als sein Bruder zögerte. »Schneid jetzt.«
Kaum hatte Manuel Ninos’ Haar angefeuchtet und durchgekämmt, war der auch schon eingedöst. Aus den Lautsprechern kam ein Mix aus Lieblingsliedern, die Ninos in seine eigene Zeit als Friseur zurückversetzten. Damals war er fünfzehn Jahre alt gewesen, und der Vater hatte ihn zu einem Ferienjob im Salon Seyhan in Södertälje gezwungen, der seiner Familie gehörte. Der Laden war immer gut besucht gewesen, vor allem von älteren Herren, die über die Politik im Nahen Osten und über ihre Ehefrauen diskutierten – häufig in ein und demselben Satz. Ninos konnte sich immer noch den Duft von Old Spice vergegenwärtigen, den dieMänner aufzulegen pflegten. Er hatte den Fußboden gekehrt, den Kunden die Haare geschnitten und ihnen mit dem Handtuch Luft zugefächelt, während sie mit einem Barbiermesser rasiert wurden. Zu seinen Aufgaben hatte es außerdem gehört, Tee zu servieren und die Aschenbecher zu leeren.
Ninos zuckte zusammen, als Manuel die Kasse aufschnappen ließ. Er hatte sich kurz entfernt, um bei einem anderen Kunden zu kassieren. Ninos war stolz auf seine jüngeren Brüder. Sie hatten ihren Weg gemacht, ganz ohne fremde Hilfe. Der Geruch von Haarspray und Färbemittel, vermischt mit dem Duft der Süßigkeiten, die Manuel an die Kinder verteilte, ließ Ninos wacher werden.
Einer der Kunden stellte sich zu Ninos und Manuel.
»Scheiße, Manuel, ich bin schon seit zwei Monaten arbeitslos. Katrin meinte, ich soll mit dir sprechen, du kennst ja Hinz und Kunz. Du weißt doch, wie geschickt ich bin und dass ich eigentlich alle Arbeiten erledigen kann. Kannst du dich nicht mal erkundigen, ob jemand einen Tischler oder was Ähnliches braucht. Ich könnte mir auch vorstellen, auf dem Bau zu arbeiten. Kein Problem. Wenn ich nicht bald was finde, schmeißt sie mich raus.«
Manuel schnitt weiter Haare und antwortete, ohne aufzusehen.
»Einer meiner Kunden hat eine Baufirma. Er sucht regelmäßig Leute. Ich hab seine Nummer im Verzeichnis, ich ruf ihn später an. Komm gegen fünf noch mal vorbei.«
Nun widmete Manuel Ninos wieder seine ganze Aufmerksamkeit. Er witterte eine Chance, mehr als nur Ninos’ Haare wieder in Ordnung zu bringen.
»Wie lange willst du noch so herumlaufen? Ein Freund von mir, dem ich die Haare schneide, hat einen Laden mit Herrenanzügen. Ich kann dir sicher ein paar hübsche Sachen in deiner neuen Größe organisieren.«
Widerwillig ging Ninos auf seinen Vorschlag ein. Er vermied es, daran zu denken, was seine neue Kleidergröße eigentlich war.
»Kennst du jemanden, der Secondhandkleider kauft?«, fragte er seinen Bruder.
»Nein, und ich würde auch auf keinen Fall die abgelegten Kleidervon irgendwem tragen wollen. Das fehlte mir gerade noch!« Manuel lachte
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