Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
In mehr als einer Hinsicht. Die Lykanthropie-Infektion ist bei älteren Wölfen viel stärker und wird beinahe sofort übertragen. Dieser hier« – sie stieß ein wundes Stück Haut an, und Billi zuckte zusammen – »ist ein kaum ausgewachsenes Weibchen. Du hast dich wahrscheinlich gar nicht angesteckt.«
»Wir gehen aber sicher, oder?«
Elaine wusch die Wunde aus. »Du wirst am Ende noch mehr Narben als dein Vater haben.«
»Solange sie nicht mein ganzes Gesicht entstellen, ist mir das egal.«
»Lieg einfach still.«
Billi bewegte sich, aber Elaine, deren Hände viel stärker waren, als ihr Äußeres vermuten ließ, hielt Billi fest auf die kühle Matratze gepresst.
Billi konnte nicht aufhören, an Pelleas zu denken. Noch ein Templer dahin. Ihr Vater hatte sie vorgewarnt, dass die Bataille Ténébreuse , der Krieg der Templer gegen die Unholde, seinen Tribut forderte. Aber der Preis war sehr hoch. Ihr Patenonkel Percy, Berrant, Pater Balin, jetzt Pelleas. Billi schloss die Augen, aber ihre Gesichter waren noch da. Sie konnte sie sehen, in den Nebeln der grauen Gestade. Einer jedoch hob sich besonders ab: Der, der ihr am nächsten gestanden hatte.
Kay.
Sie konnte das weißblonde Haar vor sich sehen, die albinobleiche Haut, das verstohlene Lächeln, zu dem er geneigt hatte, als wüsste er alle Antworten. Sie waren Seite an Seite aufgewachsen und ausgebildet worden. Sie hatten gemeinsam Pläne geschmiedet wegzugehen. Die Templer zu verlassen und wie normale Menschen zu leben – zusammen zu sein. Natürlich war das eine Lüge gewesen. Es gab nur einen Weg, den Templerorden zu verlassen.
Kay würde Pelleas jetzt willkommen heißen.
»Pelleas?«, fragte Elaine.
»Ich konnte nichts tun. Sie waren zu zweit.« Billi wartete auf eine Erwiderung, aber Elaine blieb stumm. Ihre Finger gruben sich in Billis Muskeln, und Billi biss die Zähne zusammen, als sie spürte, wie ihr das Blut über den Rücken lief.
»Du hast aber das Mädchen gerettet«, sagte Elaine. Sie zog einen Kasten hervor und öffnete ihn. Der Lieferwagen war plötzlich vom Geruch nach verfaultem Gemüse und Öl erfüllt.
»Sie wollten sie unbedingt erwischen«, sagte Billi. »Glaubst du, sie könnte eine sein?«
Elaine hielt inne. »Eine Seherin?« Sie drückte ein nasses Flanelltuch auf Billis Risswunden. »Vielleicht.« Auch Elaine verwendete den Templerausdruck Seher , aber einst hatte man solche Menschen Hexen oder Propheten genannt. Der moderne Begriff der Laienwelt lautete Medium . Kinder wie diese opferten die Werwölfe rituell ihrer Göttin, da sie glaubten, dass sie ihnen im Gegenzug einen Frühling voll guter Jagden bescheren würde.
Billi zuckte zusammen, als Elaine sich mit einer silbernen Pinzette an die Arbeit machte und nicht gerade sanft in die offenen Wunden hineinstach, um sich zu vergewissern, dass kein Bruchstück einer Kralle darin zurückgeblieben war. Sie ballte die Hände zu Fäusten und barg ihr Gesicht dahinter. Herrgott, tut das weh!
Elaine legte den feuchten Breiumschlag auf Billis nackten Rücken und drückte ihn fest in die Rillen im Fleisch, um sicherzustellen, dass die Medizin tief einzog.
»Das stinkt«, sagte Billi.
»Das hier, Mädchen, ist mein eigenes, ganz besonderes Rezept. Eisenhut, ein Spritzer geweihtes Öl und gemahlene Werwolfsknochen. Weißt du, wie schwer es ist, Werwolfsknochen aufzutreiben? Was das kostet?«
»Wahrscheinlich kostet es einen Mondsüchtigen den Kopf.«
Elaine lachte. »Nur zu wahr! In diesem Fall aber einen Arm.«
»Wie lange muss ich es draufbehalten?«
»Es dauert eine Weile, bis die Kräuter einziehen und wirken. Lass es für ein paar Tage drauf – lange genug, das Gift herauszuziehen. Du willst dich doch nicht verwandeln, nicht wahr?«
Als wüsste sie das nicht. Billi hatte die letzten paar Monate mit nichts anderem verbracht, als sich mit Lykanthropie zu beschäftigen. Jeder konnte sich in einen Werwolf verwandeln, wenn er von einem gekratzt oder gebissen wurde. Jeder hatte ein Inneres Tier. Es war der animalische Teil einer jeden Seele, der Morden und Gewalt genoss. Es war die Blutrünstigkeit.
Wenn jemand von einem Werwolf verletzt wurde, wurde das Innere Tier geweckt. Erst traten Träume auf, über das Jagen, das Laufen durch dunkle Wälder, das Heulen. Dann veränderte sich der Appetit – der Betroffene empfand ein heftiges Verlangen nach Fleisch und roten Säften. Je röter, desto besser. Dann setzte die Raserei ein. Der sinnlose, psychotische Drang, zu töten
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