Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
und zu fressen. Dem nachzugeben beschleunigte den Verwandlungsprozess nur. So verlief die Wandlung für manche schnell. Andere – die mit großer Willensstärke – klammerten sich an ihre Menschlichkeit, aber es war ein ewiger Kampf, und wenn sie aufgaben, dann kam es zur Verwandlung.
Und am Ende gab jeder auf, und ein neuer Werwolf heulte freudig im gespenstischen Mondlicht. Nichts Menschliches blieb, bis auf die Augen. Nur Elaines Breiumschlag hinderte die Infektion daran, Fuß zu fassen. Sie hatte in der Vergangenheit schon mehr als einen Ritter damit gerettet.
»Du … glaubst doch nicht, dass es passieren wird? Oder?«
Elaine riss lange Klebebandstreifen ab. »Nein, aber ruf mich an, wenn du irgendwelche seltsamen Bedürfnisse empfindest.«
»Welche zum Beispiel?«
»Zum Beispiel das, Katzen zu jagen.«
Nachdem der Verband befestigt war, reichte Elaine Billi ein frisches Hemd und rollte eine Decke aus. Sie ging nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen, während Billi sich umzog. Billi warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: Es war zwei Uhr morgens. Wenn sie Glück hatte, würde sie vier Stunden Schlaf bekommen, bevor sie zur Morgenandacht wieder aufstehen und dann in die Schule gehen musste.
Einfach toll. Morgen hatte sie Sport. Wie sollte sie erklären, warum sie wie Tutanchamun aussah? Die gewaltige Bürde dessen, was heute Nacht geschehen war, lastete schwer auf ihr und ließ sie in der Matratze versinken; es kam ihr vor, als wären ihre Knochen bleischwer. Vor Erschöpfung konnte sie sich nicht rühren. Nur ein paar Stunden Schlaf …
»Und?«, erklang Elaines Stimme von draußen.
»Zu spät«, sagte Arthur müde. »Pelleas ist tot.«
Obwohl Billi das schon gewusst hatte, tat es weh. Sie schloss die Augen und versuchte, das schwarze Loch in ihrem Bauch zu ignorieren.
Arthur fuhr fort: »Wir holen uns, was wir kriegen können, und machen dann, dass wir wegkommen. Das alles ist verdammt danebengegangen, Elaine. Vielleicht hätte ich Billi nicht so bald hinausschicken sollen.« Er scharrte mit den Füßen. »Wie geht es ihr?«
Billi hörte das scharfe Zischen eines Streichholzes, auf das bald Elaines keuchender Atem folgte. Sie standen direkt vor der Tür. Der Lieferwagen neigte sich leicht, als irgendjemand – wahrscheinlich Billis Vater – sich dagegenlehnte.
»Sie wird es überstehen.«
»Ja?« Billi hörte, wie er frustriert einem Stein einen Tritt versetzte. »Sie hat sich verändert, Elaine.«
Billis Augen fühlten sich heiß und feucht an. Sie gab dem Eisenhutumschlag die Schuld.
Arthur seufzte. »Es ist drei Monate her, aber es scheint ihr eher schlechter zu gehen.«
»Sie hat Kay geliebt. Du solltest das doch besser verstehen als alle anderen!«
»Aber sie ist doch nur ein Kind.«
»In ein paar Monaten wird sie sechzehn«, sagte Elaine. »Sie ist jung, Art, aber ich glaube nicht, dass sie je ein Kind war. Kay ist gestorben, und sie glaubt, das wäre ihre Schuld. Sie hat sich viel Verantwortung aufgebürdet.«
»Sie ist eine Templerin.«
Elaine wechselte das Thema. »Was ist mit dem kleinen Mädchen? Glaubst du, sie könnte eine sein?«
»Eine Seherin? Wenn sie keine ist, wäre viel Mühe auf sie verschwendet worden.« Arthur klopfte mit dem Schwertgriff gegen den Lieferwagen. »Werwölfe irren sich bei so etwas gewöhnlich nicht. Sie haben dasselbe mit Kay getan, weißt du noch? Kurz nachdem wir ihn gefunden hatten, war das Bodmin-Rudel auf der Suche nach ihm.« Der Lieferwagen schwankte leicht, als Arthur sich bewegte. »Aber seitdem haben sie sich immer an das Abkommen gehalten.«
»Seit du ihrem Anführer den Arm abgehackt hast, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Und wenn sie nun eine Seherin ist?«, fragte Elaine. Billi hörte der Stimme der alten Frau die Furcht und Aufregung an.
»Dann danke Gott, dass wir sie vor ihnen erreicht haben.« Arthurs Stiefel knirschten im Schnee, als er davonging.
4
Billi schlief im Lieferwagen und begann sich erst wieder zu rühren, als die Reifen über das Kopfsteinpflaster des Temple District rumpelten.
Zu Hause .
Sie setzte sich auf und beugte sich über den Beifahrersitz. Es war noch früh, und die Sonne würde erst in einigen Stunden aufgehen. Das Motorengeräusch hallte in den engen Gässchen wider, die nach Süden von der Fleet Street abzweigten und in den Temple District führten. Bors saß zusammengesunken auf dem Beifahrersitz, seine Zwillingsschwerter neben sich. Sie polterten klirrend zu Boden, als Billi nach vorn neben ihn
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