Die Wolke
der Hitze. Es stank nach verbranntem Lack und Gummi, und die Buspassagiere – ältere Leute allesamt, Kaffeefahrtgäste – standen verängstigt am Straßenrand.
Stau auf der Hauptstraße, Stau auf der Nebenstraße. Uli hielt sich vor dem Hupkonzert die Ohren zu. Breitbeinig stand er über seinem Rad und starrte in die Flammen.
»Wir müssen weiter«, sagte Janna-Berta mit einem Blick über die Schulter.
Ein Mercedes bahnte sich einen Weg durch einen sorgfältig ausgejäteten, blühenden Vorgarten. Er fuhr über ein Stiefmütterchenbeet und drückte Gartenzwerge in den Rasen. Dann blieb er in der lockeren Erde stecken, und die Räder drehten sich auf der Stelle.
Janna-Berta entdeckte auf der Straße, die hinter der Kreuzung, hinter zerbeultem Blech und Rauchschwaden, in Richtung Bad Hersfeld aus dem Dorf hinausführte, eine Lücke in der Wagenschlange, kaum länger als hundert Meter. Dort wollte der Mercedes wahrscheinlich hin. Schon stauten sich mehrere Wagen hinter ihm. Ein paar Leute bemühten sich, ihn aus dem Vorgarten hinauszuschieben, um den Weg für die eigenen Fahrzeuge freizumachen.
Von Bad Hersfeld her näherte sich ein grünweißer Polizeiwagen. Niemand machte ihm Platz. Er quetschte sich am Straßenrand entlang. Vor der verstopften Kreuzung bremste er und stellte sich quer. Drei Polizisten sprangen heraus. Einer hielt ein Megaphon vor den Mund und schrie: »Die Bundesstraße 62 ist von hier bis Bad Hersfeld ab sofort für jeden Verkehr gesperrt. Die Stadt wird evakuiert.«
»Wir wollen zum Bahnhof!« schrie jemand.
»Das hat keinen Zweck!« brüllte der Polizist mit dem Megaphon. »In der Stadt herrscht Panik. Der Verkehr ist zusammengebrochen, auch auf den Ausfallstraßen.«
»Nichts als Bluff!« rief ein Mann. »Märchen!«
»Und wo, bitteschön, sollen wir hin?« kreischte eine Frau.
Die Leute hinter dem Mercedes ließen sich nicht stören. Sie schoben ihn aus dem Vorgarten heraus. Über den Bordstein schaukelte er auf die Fahrbahn. Ihm folgten die anderen.
»Halt!« schrie der Polizist durch das Megaphon. »Hier kommt niemand durch!«
»Das werden wir ja sehen«, rief der Mann, der am Steuer des Mercedes saß, und hielt auf den Polizisten zu.
Janna-Berta sah, wie der Polizist seine Pistole zog.
»Komm hier weg«, sagte sie zu Uli. »Wir versuchen's über einen Feldweg.«
Sie fuhren auf einem schmalen Weg am Ortsrand dahin, als sie Schüsse und Geschrei hörten.
»Schießen die welche tot?« rief Uli über die Schulter zurück.
»Die haben sicher nur in die Luft geknallt«, antwortete Janna-Berta, warf einen Blick zur Gewitterfront hinüber und ließ Uli stehenbleiben und seine Jacke wieder anziehen. Sie zog ihm die Kapuze über den Kopf und schlüpfte auch in ihre eigene Jacke.
»Was soll das?« rief er empört. »Ich schwitz mich ja tot!«
Aber Janna-Berta bestand darauf, daß er die Kapuze auf dem Kopf behielt. Nun war Uli plötzlich überzeugt, nicht weiterzukönnen, wenn er nicht etwas zu trinken bekäme.
»Da vorn ist die Fulda«, sagte Janna-Berta, ohne zu wissen, ob es wirklich stimmte. »Dort kannst du trinken.«
Uli blieb stumm. Glaubte er ihr nicht? Oder war er zu erschöpft, um ihr zu antworten?
»Komm, setz dich auf meinen Gepäckträger«, sagte sie.
»Und was wird mit meinem Rad?« fragte er.
»Das lassen wir liegen.«
»Mein Rad? Kommt gar nicht in Frage!«
Er strampelte weiter.
Hinter den letzten Häusern stießen sie auf einen hohen Bahndamm, der parallel zur Bundesstraße auf Bad Hersfeld zulief. Ein schmaler Weg trennte den Damm von den Feldern.
Janna-Berta entschloß sich, diesen Weg einzuschlagen. Ihn würden sie für sich allein haben, denn er war zu schmal für Autos.
Sie fuhr jetzt neben Uli. Das Gras auf dem Weg wucherte hoch. Sie mußten langsam und vorsichtig fahren. Uli schnaufte und wischte sich mit dem Arm über Nase und Augen.
In der Ferne hörte Janna-Berta Motorengeräusche. Sie drehte sich um und sah, daß eine Wagenkolonne von der Straße herüberzukommen versuchte. Sie hupte durchs Dorf, zwei Fahrzeuge versuchten, quer übers Feld zu fahren. Aber sie blieben stecken, denn die Frühlingserde war naß und klebrig. Ein Lastwagen bog in den kleinen Feldweg ein, stieß wieder zurück und verschwand zwischen den Häusern.
Der Feldweg wurde immer schmaler, von beiden Seiten wucherten ihn Brennesseln fast zu. Sie peitschten Uli ins Gesicht. Dann löste sich die letzte Spur des Weges in einer Viehkoppel auf.
Uli weinte, und auch Janna-Berta
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