Die Wolke
auf den Bürgersteig, Susanne hinter sich herziehend. Susanne verlor den Boden unter den Füßen und schleifte mit den Knien über den Asphalt.
»Auch das noch«, jammerte ihre Mutter. »Geh weiter, Susanne, dann tut's nicht so weh.«
Überall wurde gepackt, geschleppt, gehastet. Je näher Janna-Berta und die Heublers dem Bahnhof kamen, desto mehr Menschen liefen in dieselbe Richtung wie sie, die meisten schwer beladen, manche auch ohne Gepäck, viele in ihren besten Kleidern, andere, wie sie aus Küche oder Werkstatt kamen. Eine Frau in Pelzmantel und Hut stöckelte mit zwei schweren Koffern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, eine andere – sie lief nicht weit vor ihnen – hatte vergessen, den Rückenreißverschluß ihres Kleides zu schließen. Ein kleines Mädchen trug eine Puppe, die größer war als es selbst. Eine alte Dame preßte ein Körbchen mit einem Pekinesen an sich, ein Türke schleppte eine elektrische Nähmaschine auf dem Rücken. Susanne stolperte über ein verschnürtes Paket, das mitten auf dem Bürgersteig lag und anscheinend niemandem gehörte. Sie fiel auf die blutenden Knie, weinte jämmerlich und wollte sich nicht weiterzerren lassen. Da nahm Janna-Berta sie auf den Rücken.
Rolläden rasselten. Die meisten Geschäfte waren schon geschlossen. Eine Bundesgrenzschutzstreife patrouillierte durch die Fußgängerzone, bestürmt von Bürgern, die Auskünfte haben wollten und Rat suchten. Aber die Männer in Uniform hoben nur die Schultern.
»Bustransporte gibt's nicht«, sagte einer. »Auf den Straßen geht ja nichts mehr. Gehen Sie zum Bahnhof. Dort haben Sie vielleicht noch eine kleine Chance.«
Vor dem Bahnhof drängte sich eine Menschenmenge. Am Haupteingang wurde geschrien, geschimpft, geknufft. Rotkreuzleute schoben sich durch das Gedränge. Kinder brüllten. Ein paar Polizisten und Bahnbeamte versuchten, Ordnung zu schaffen. Aber niemand befolgte ihre Befehle, niemand kümmerte sich um sie.
»Gleich regnet's!« hörte Janna-Berta jemanden schreien. »Dann kommt alles über uns!«
»Die Kinder«, jammerte eine Frau. »Denkt doch an die Kinder! Laßt wenigstens sie hinein!«
»Hier kommen wir nie rein«, sagte Bert verzweifelt.
Von allen Seiten strömten Menschen heran, drängten sich vor den Haupteingang, schwärmten dann nach rechts und links aus, um einen Durchgang zu finden. Auch die Heublers und Janna-Berta zogen nordwärts am Bahnhofsgebäude entlang. Vor einem eisernen Gittertor und einer im Lochmuster hochgezogenen Backsteinmauer, die zwischen zwei Nebengebäuden den Bahnsteig vom Bahnhofsvorplatz trennte, gab es Bewegung: Ein paar Männer entwaffneten zwei Polizisten, die mit dem Gummiknüppel in der Hand die Menge daran gehindert hatten, das Tor einzudrücken oder über die Mauer zu klettern. Denn die Mauer war nicht höher, als daß ein Mann mit ausgestreckten Armen die Oberkante erreichen konnte. Und die rechteckigen Löcher boten den Füßen Halt.
Jetzt war die Mauer frei. Unter wildem Triumphgeschrei setzte ein Ansturm auf sie ein, dessen Sog auch die Heublers und Janna-Berta mitriß. Sie kämpften sich bis unmittelbar an die Mauer heran. Durch die Löcher konnte Janna-Berta hinter dem Gewimmel der Wartenden auf dem Bahnsteig den oberen Teil eines Personenzuges erkennen. Auf den Waggondächern saßen Leute, dicht an dicht. Janna-Berta fielen zwei Männer mit Krawatten und weißen Hemden auf. Die Hemden waren zerfetzt und schmutzig. Eine Frau trug nur noch einen Schuh.
Dann setzte sich der Zug langsam nordwärts in Bewegung. Die Leute auf dem Bahnsteig schrien ihm nach, drohten mit den Fäusten, liefen hinter ihm her. Ein paar junge Männer hängten sich an offene Fenster oder an die Haltegriffe der Einstiege.
Bert hob Nina von seinen Schultern, drückte sie seiner Frau in den Arm und streifte den Rucksack ab. Er kletterte auf die Mauer und ließ sich ein Kind nach dem anderen hinaufreichen. Ein freundlicher Mann auf der anderen Seite nahm sie ihm ab. Auch Janna-Berta kletterte hinüber. Sie war eine gute Sportlerin. Nun versuchte auch Marianne, an der Mauer hochzukommen. Aber sie war füllig und ängstlich und mühte sich vergeblich so lange, bis ihr Mann sich erst um die drei Kinder kümmern mußte, die jenseits der Mauer im Gedränge standen und sich schreiend aneinanderklammerten.
»Paß du auf die Kinder auf«, sagte er zu Janna-Berta und setzte ihr seine jüngste Tochter auf den Arm. Er schob alle vier unter das Dach neben der Mauer und schärfte
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