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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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sich auf den Gepäckträger zu nehmen? Später, im Zug, konnte er schlafen, soviel er wollte.
    »Du fährst viel besser, als ich dachte«, rief sie ihm zu. »Ich hätte dir die lange Strecke nie zugetraut.«
    Sie log nicht. Er war klein für sein Alter, und er war oft krank. Erst seit er in die Schule gekommen war, hatte er etwas Farbe bekommen. Aber er hatte einen starken Willen.
    »Pah!« sagte er und trat wieder schneller in die Pedale.
    Janna-Bertas Hoffnung wuchs. Nur noch die zwei Dörfer und der Eichhof. Schon konnte man auf den Hügeln in der Ferne die ersten Häuser von Bad Hersfeld sehen. Sie drehte sich um. Der südliche Horizont hatte sich verfinstert.
    »Wenn wir's nicht schon erwischt haben«, brüllte ein Motorradfahrer seinem Mitfahrer über die Schulter zu, »dann kommt's mit dem Gewitter – aber dicke!«
    Als die Kinder Beiershausen erreichten, fuhren die Wagenkolonnen neben ihnen im Schrittempo. Die Motorräder wichen auf die Feldwege aus und rasten zwischen Weiden und Äckern dahin. Ein paar Männer schoben einen Wagen von der Straße in den Graben, während der Besitzer des Wagens sich von der anderen Seite dagegenstemmte. »Nur einen Liter!« schrie er verzweifelt. »Mit einem Liter komm ich bis zur nächsten Tankstelle!«
    Dann war das Hindernis aus dem Weg geräumt, die Männer stiegen in ihre eigenen Wagen und fuhren weiter. In dem Wagen, der nun halb im Graben stand, saßen zwei alte Frauen. Janna-Berta drehte sich noch ein paarmal um. Sie sah, wie der Mann den Frauen aus dem Wagen half und mit ihnen zu Fuß weiterging.
    Auch auf der anderen Straßenseite entdeckte sie zwei abgestellte Wagen. Sie waren leer. Und kurz hinter Beiershausen ließ eine Familie ihren Wagen mitten auf der Fahrbahn stehen und stieg in einen anderen um, in dem Freunde oder Verwandte sitzen mußten. Die nachfolgenden Fahrer schimpften hinter den Flüchtenden her.
    Janna-Berta dachte an ihre Mutter und an Kai. Ob sie jetzt schon im Zug saßen? Im Zug sitzen und ausruhen können und wissen: Wir sind gerettet! Und Jo? Die war nun schon seit Stunden in ihrer weißen Krankenschwesterntracht zugange. Oder hatte sie nicht einmal Zeit gehabt, sich das Weiß anzuziehen? Vielleicht trug sie nur die Rotkreuzbinde am Arm. Und bestimmt vergaß sie, auf ihre eigene Sicherheit zu achten.
    Janna-Berta mußte an eine Demonstration in Biblis denken: Eine Einheimische hatte mit aufgestütztem Kinn im offenen Fenster gelegen und die Demonstranten bespöttelt. Da hatte die Mutter ihr zugerufen: »Und wenn eines Tages das große Sterben über Sie hereinbricht – werden Sie dann auch noch so im Fenster liegen?«
    Das große Sterben. Janna-Berta versuchte es sich vorzustellen. Sie hatte Bilder von Hiroshima gesehen, hatte von Haarausfall, von Blutungen und Wucherungen, von Leukämie und unstillbarem Brechreiz gehört. Von all diesen Schrecklichkeiten erschien ihr der Haarausfall am schrecklichsten: sich mit einem Kahlkopf neugierigen und mitleidigen Blicken aussetzen müssen!
    War Jo jetzt schon mitten im »großen Sterben«? Starben die Leute unter ihren Händen? Starb sie selbst? Janna-Berta versuchte sich einen Grabstein mit dem Namen JOHANNA HELBERT vorzustellen. Oder JO HELBERT? Oder JANNA HELBERT? Als Jo noch ganz jung gewesen war, hatte sie einen Freund gehabt. Der hatte sie Janna genannt. Er war ihr erster Freund gewesen. Sie hatten vorgehabt, nach dem Krieg zu heiraten, aber im letzten Kriegsmonat, im Mai fünfundvierzig, war er gefallen.
    Nein, Janna-Bertas Phantasie verweigerte sich. Sie versuchte die Gedanken an Jo zu verscheuchen.
    Im Süden türmten sich die Gewitterwolken. Drohend hingen sie über den Dächern von Niederaula.
    »Guck, dort brennt's!« Uli deutete auf das nächste Dorf, Asbach, wo braungrauer Rauch aufstieg, und fuhr schneller.
     
    In Asbach versuchten die Leute, die vor Oberwegfurth auf die andere Talseite ausgewichen waren, wieder auf die Bundesstraße zu kommen.
    Eine Doppelschlange, die durch das ganze Dorf bis auf die andere Talseite reichte, staute sich vor der Kreuzung, auf der fünf Fahrzeuge ineinander verkeilt standen. Darunter ein Bus mit Anhänger, der lichterloh brannte. Auf den Bürgersteigen beiderseits der Kreuzung gestikulierten die Insassen der Wagen und schrien durcheinander. Janna-Berta verstand, daß der Busfahrer versucht hatte, den Weg über die Kreuzung zu erzwingen. Jetzt stand der brennende Bus quer und versperrte fast die ganze Bundesstraße. Die Gesichter der Kinder glühten in

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