Die Wolke
»Wirklich?«
»Natürlich nicht«, antwortete er. »Es ist Leukämie. Es ging ihr schon die ganze letzte Zeit so schlecht, aber sie hat's nicht wahrhaben wollen. Du weißt ja. Gestern haben sie sie in eine Spezialklinik geschafft.«
Als Janna-Berta aus der Schule heimkam, öffnete ihr Helga die Tür.
»Wir müssen in den nächsten Tagen unbedingt zum Friseur«, sagte sie. »Perücken sind jetzt knapp, und dein Geburtstag ist in zwei Wochen.«
»Ich zieh keine Perücke auf!« rief Janna-Berta.
»Beruhige dich«, sagte Helga. »Du kannst ihnen ja erzählen, daß du eine Perücke trägst.«
»Und was haben sie davon?« fragte Janna-Berta.
»Ach Kind, du willst einfach nicht verstehen. Es sieht nun einmal, wie soll ich sagen, bedrückend aus, wenn ein junger Mensch keine Haare hat. Ich bitte dich, das läßt sich doch so leicht arrangieren. Nur so lange, bis alle wieder abgereist sind.«
Schließlich nickte Janna-Berta resigniert und ging mit zum Friseur. Aber sie lehnte es ab, sich selber eine Perücke auszusuchen. Helga mußte es für sie tun. Sie entschied sich für eine kurzgelockte, mittelblonde.
»Ich war viel heller«, sagte Janna-Berta.
Aber es gab keine hellere Perücke, die ihr paßte. Helga ließ die mittelblonde einpacken.
»Du wirst sicher reich beschenkt werden«, sagte sie auf dem Nachhauseweg, das Päckchen mit der Perücke unterm Arm.
Janna-Berta zuckte mit den Schultern. Zu Hause schaltete sie das Küchenradio ein und hörte Rockmusik, bis Onkel Friemel böse wurde.
Janna-Berta freute sich nicht auf den letzten Schultag, und als er da war, dachte sie ratlos an die Ferien. Das Zeugnis, das sie ausgehändigt bekam, enthielt nur eine probeweise Versetzung.
»Weil du sehr spät im Schuljahr an diese Schule gekommen bist«, hieß es, »und ohne Zeugnis. Wir kennen deine Leistungen noch nicht so genau.«
In der Pause verteilte ein Mädchen aus Janna-Bertas Klasse Einladungskärtchen für ihren Geburtstag. Janna-Berta erhielt keines.
»Vergiß es«, sagte der Junge aus Bamberg, der plötzlich neben ihr stand. »Du bist nicht eingeladen, genausowenig wie ich. Nicht wegen ihr – ihre Mutter hat was dagegen.«
Janna-Berta nickte. Sie war keine Zierde für einen Geburtstag.
Die anderen hatten es eilig, als sie der Klassenlehrer entließ. Sie nicht. Sie wartete vor Elmars Klasse. Aber als seine Mitschüler den Raum verließen, war er nicht dabei.
»Weißt du's noch nicht?« fragte einer. »Er ist nicht versetzt worden. Deshalb brauchte er heute nicht zu kommen.«
»Elmar?« fragte Janna-Berta ungläubig.
»Hat nichts mehr getan und nichts mehr gesagt«, bekam sie zur Antwort. »Hat sich einfach hängenlassen.«
Janna-Berta war den Tränen nahe.
»Daheim«, sagte sie, »war er der Beste.«
»Daheim wart ihr alle die Besten«, hörte sie noch irgend jemanden sagen, dann ging sie davon.
Helga war schon früher heimgekommen. Wortlos legte ihr Janna-Berta das Zeugnis auf den Schreibtisch.
»Ich habe mich über deine Noten schon informiert«, sagte Helga. »Du wirst in den Ferien viel für die Schule tun müssen. Ich werde mich darum kümmern.«
»Ich möchte jemand zu meinem Geburtstag einladen«, sagte Janna-Berta.
Sie nannte Elmars Namen. Zu ihrem Erstaunen hatte Helga nichts dagegen.
»Er hat auch keine Haare«, sagte sie.
Helga sah Janna-Berta scharf an.
»Ich mag ihn!« schrie Janna-Berta und lief in ihr Zimmer.
Das Abendessen verlief schweigsam. Janna-Berta wunderte sich. Tante Friemel aß nur ein paar Bissen.
»Du mußt doch nicht gleich in Panik geraten, nur weil dir ein paar Haare ausgehen«, sagte Onkel Friemel halblaut und tätschelte ihre Hand.
»Ach, was weißt du!« rief sie, stand auf und verschwand in ihr Zimmer, noch bevor die anderen fertig gegessen hatten. Das tat sie sonst nie. Im Gegenteil – bei Janna-Berta fand sie's ungehörig. Onkel Friemel blieb hüstelnd sitzen. Nach dem Essen schaltete er den Fernseher ein.
»Expertengespräche«, knurrte er. »Jeden Tag Expertengespräche.«
Er schaltete wieder aus, wünschte eine gute Nacht und zog sich ebenfalls zurück. Helga setzte sich, nachdem sie das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler gestapelt hatte, in ihrem Arbeitszimmer an den Schreibtisch. Janna-Berta blieb allein im Wohnzimmer.
Das war neu. Die Stimmen der Friemels klangen sehr leise und sehr fern, und bald verstummten sie ganz. Ein paar Mücken summten um die Lampe. Janna-Berta schaltete den Fernseher ein. Noch immer das
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