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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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»Notgemeinschaft der Atomgeschädigten« unterwegs war. Paps unterwies Janna-Berta, welche Lebensmittel man unbedenklich essen konnte, auf welche Stempel und Aufdrucke man achten mußte, welchen Geschäften man trauen durfte.
    »Wir halten uns an Reis«, sagte er. »Morgens, mittags, abends Reis. Alles übrige ist nur ein Drumrum. Wenn man sich erst dran gewöhnt hat, geht das ganz gut. Reis ist zwar doppelt so teuer wie früher, aber gerade noch erschwinglich. Mit Fleisch haben wir ganz Schluß gemacht. Zu riskant. Die versuchen immer wieder, einem das verseuchte Zeug anzudrehen, und das Fleisch aus Argentinien und Brasilien ist zu teuer.«
    »Wozu das alles?« fragte Janna-Berta verwundert. »Wir sind doch längst verseucht!«
    »Stimmt«, sagte Paps. »Aber wir feilschen um jeden Tag. Und dabei zählt jeder saubere Salatkopf.«
    Das leuchtete ihr ein. Sie bemühte sich, seine Ratschläge zu behalten und sich die Läden, in denen er kaufte, einzuprägen. »Vor allem«, sagte er, »trau den Behörden nicht.«
    Janna-Berta nickte. Sie mochte ihn. Sein Gesicht war braungebrannt von der Arbeit im Freien. Der weiße Haarschopf ließ es noch dunkler erscheinen. Daß Paps nachts laut schnarchte, verzieh sie ihm.
    Auf dem Postamt gab sie eine Karte an Helga auf. Almut und Reinhard hatten darauf bestanden. Dann kaufte Paps ihr eine Luftmatratze.
    Zurück vom Einkauf, kochten sie zusammen ein Gericht, das in keinem Rezeptbuch zu finden war: indischen Reis mit kolumbianischen Bohnen. Reinhard und Almut fanden es genießbar, obwohl ein paar Bohnen noch hart waren. Paps meinte, wenn sie noch hart seien, könne es sich nicht um Bohnen handeln. Vielleicht seien es Gewehrkugeln. Janna-Berta registrierte verblüfft, daß gelacht wurde. Hier wurde oft und gern gelacht. Aber es dauerte ein paar Tage, bis sie mitlachte.
     
    Janna-Berta schrieb für Almut Adressen auf Stapel von Briefumschlägen, sie begleitete sie auf Behördengängen, tippte mit zwei Fingern Briefe für sie, nahm ihr die Wäschewascherei ab und putzte mit ihr zusammen die Wohnung. Sie half beim Sammeln von Spenden für die Einrichtung eines Hibakusha-Zentrums und bekam mehr gespendet als Almut.
    »Das macht dein Kopf«, sagte Paps. »Wer dir begegnet, ist dankbar dafür, daß er besser weggekommen ist.«
    Als sich Paps tagelang mit einem hartnäckigen Durchfall herumquälte, übernahm Janna-Berta das Kochen, bis auch für Reinhard das Schuljahr zu Ende ging. Reinhard kochte gern und gut. Aber Almut brauchte ihn auch beim Einrichten des Zentrums.
    »Da wird es eine Rechtsberatung und eine ärztliche Beratung und einen Beistand für allen Formalitätenkram geben, und bei der Wohnungsbeschaffung werden wir helfen, und eine Kopie der Suchkartei wird ausliegen –«, schwärmte sie. »Wer will, kann auch einfach nur Zeitungen lesen oder sich mit Leuten treffen – oder sich mal ordentlich ausheulen.«
    Bis sie irgendwann einmal wieder als Lehrerin würde arbeiten können, wollte sie sich ganz dem Zentrum widmen. Es sollte mit einer großen Kundgebung und einem Treffen aller Hibakusha, die im Rhein-Main-Gebiet Unterkunft gefunden hatten, eröffnet werden. Almut sprühte vor Ideen für das Programm dieses Tages. »Wer dabei war, soll mit neuer Hoffnung heimfahren«, sagte sie, »und sich vor allem nicht mehr allein fühlen.«
    Paps fand, daß sie genug Optimismus für alle habe. Aber Janna-Berta kannte sie auch anders: Gegenüber denen, die alles gelassener nahmen, wurde sie oft ungeduldig.
    »Ihr macht mich verrückt mit eurer Ruhe!« schimpfte sie einmal mit Reinhard und seinem Vater. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und ihr laßt euch auf einen Stuhl fallen und seht euch das Getriebe an, bevor ihr euch zu irgendwas bequemt!«
    »Ich hab nicht vor, mein Uhrwerk zu überdrehen«, gab ihr Reinhard zur Antwort.
    Das machte sie noch wütender. Im Zorn gingen sie fort, zum Zentrum. Aber am Abend kamen sie einträchtig und gutgelaunt heim.
    »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich«, sagte Paps.
    Janna-Berta bewunderte Almut: wie sie trotz des Verlusts, den sie erlitten hatte, den Kopf zurückwarf und lachte, wie sie unermüdlich für andere unterwegs war, wie sie sich mit den Behörden stritt und Rechte für die Überlebenden ihres Umkreises erzwang, und mit welcher wilden Hoffnungslosigkeit sie sich manchmal auf die Couch warf und »Hat doch alles keinen Zweck! Ich geb's auf!« rief – um sich tags darauf mit der größten S elbstverständlichkeit

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