Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Woche oder wann auch immer war Leonor zum Arzt gegangen, um sich krankschreiben zu lassen. Danach war Dolors wieder ihre Klagemauer. Ich habe dem Arzt erzählt, dass ich immer weinen muss, Mutter, ich habe sogar schon gedacht, dass körperlich etwas nicht stimmt und mir deshalb ständig die Augen tränen, sicher weiß ich, dass es Sandra schlecht geht und dass ich auch noch ein anderes privates Problem habe, aber das ist trotzdem nicht normal, und weil ich auch in seiner Praxis angefangen habe zu heulen, habe ich dem Arzt schließlich davon erzählt. Und weißt du, was er zu mir gesagt hat, Mama? Leonor machte eine Pause, und Dolors schaute sie fragend an, als wäre es eine große Sache, nun ja, ich käme in die Wechseljahre. Ach nein, Dolors machte eine überraschte Geste, weil ihr bewusst war, dass Leonor sich genau das erhoffte. Ihre Tochter schien sehr zufrieden damit, in den Wechseljahren zu sein, als wäre das etwas Besonderes, das nur einigen Auserwählten passiert. Was bist du für eine Schlafmütze, Leonor, wie kann eine meiner Töchter nur so beschränkt sein, denkt Dolors zum wiederholten Mal. Ob sie wohl bei der Nachricht mit dem Heulen aufgehört hat? Er hat mir Tablettenverschrieben, damit würde ich mich besser fühlen, war ihr abschließender Kommentar.
Was wollte diese Frau von dir? Und warum hat sie dich beschimpft? Wie sollte Leonor begreifen, was geschehen war? Wie sollte sie ihre lebenslange, heimliche Liebe verstehen? Es war unmöglich, doch Dolors spürte, dass sie die Wahrheit sagen musste, anders ging es nicht. Ach, Schätzchen, ich muss dir etwas sagen: Ich hatte mit ihrem Mann ein Verhältnis, und vor kurzem hat sie uns erwischt. Mit einem Lächeln erinnert sich Dolors, wie Leonor die Hände schockiert vors Gesicht schlug. Und wie ein offenbar mit dem Überlebenstrieb verwandter Instinkt sie danach, im verzweifelten Versuch, die Ehre ihrer Mutter zu retten, mehr behaupten als fragen ließ, aber du wusstest nicht, dass er verheiratet war.
Er hat sich von ihr getrennt, Kind, es ist aus. Aber vor dem Gesetz ist er noch verheiratet, meinte Leonor ein paar Stunden später, als beim Abendessen das Gespräch darauf kam, damals durfte man sich noch nicht scheiden lassen, und eine Trennung war ein wirklich heikles Thema. Dolors verlor die Geduld, Leonor, sie haben sich getrennt, und basta. Leonor ließ nicht locker, Mama, dieser Kerl ist schamlos, wenn er mit dir ins Bett gegangen ist, ohne dir zu sagen, dass er verheiratet ist. Und Dolors entgegnete, es reicht, Kind, lass das mal meine Sache sein.
Verheiratet ist der Sohn von Leonors Chef, der mit dem Piercing in der Penisspitze, noch nicht, aber er will in Kürze seine junge Verlobte heiraten. Allem Anschein nach war er erst bei Leonor und nach ihr bei Glòria seinen Trieben gefolgt, weil er Erfahrungen sammeln wollte. Offenbar hatte er bei Leonor nicht allzu viel darüber gelernt, was eine Frauim Bett zum Schmachten bringt, aber bei Glòria war er voll auf seine Kosten gekommen. Das hatte dieser dreiste Flegel Glòria am Ende freimütig gestanden, ohne jede Scham.
Und woher weiß Dolors das?
Woher weiß ich das bloß?, fragt sie sich mit befremdeter Miene und lässt das Strickzeug sinken. Auch das passiert ihr in letzter Zeit immer häufiger: Sie weiß etwas und weiß nicht, woher. Es scheint, als würde immer öfter ein böser Wind durch ihren Kopf fegen und alles fortwehen, was nicht niet- und nagelfest ist. So wie Martí eines Tages gesagt hatte, ich muss ein paar Dateien löschen, die brauchen zu viel Speicherplatz, und Dolors ihn verstört angesehen hatte. Ich spreche von meinem Computer, hatte er sie grinsend aufgeklärt. Jetzt würde Dolors ihm liebend gern sagen, dass das bei alten Menschen auch so ist, dass da auch Dateien gelöscht werden. Bestimmt hat sie in ihrem Kopf ein hungriges Kätzchen wie das auf dem Bildschirm, das alles auffrisst, was ihm unter die Pfoten kommt, und sich dann genüsslich die Schnurrhaare leckt, als könnte es kein Wässerchen trüben. Ha, jetzt muss Dolors lachen. Es ist ja auch egal, woher sie das mit Leonor und Glòria weiß, es lohnt nun wirklich nicht, sich wegen so einer Lappalie das Gehirn zu zermartern, die Hauptsache ist doch, dass sie es weiß, das reicht.
Sollen wir zusammenziehen?, hatte Dolors Antoni mit bangem Herzen gefragt. Sie hatten sich in einem Park getroffen, weit weg von ihren Wohnungen und der Buchhandlung, und waren dort ein Stück spazieren gegangen. Antoni warf ihr einen langen
Weitere Kostenlose Bücher