Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Blick zu, wenn ich mit dir zusammenziehe, dann verliere ich meine Kinder endgültig. Ihre Mutter hat sie schon gegen mich aufgehetzt, und nurwenn ich allein lebe, kann ich hoffen, sie eines Tages wiederzugewinnen. Ich liebe sie so sehr, Dolors. Diese Antwort hatte Dolors damals sehr erleichtert, ohne dass sie genau wusste, warum.
Jetzt weiß sie es. Weil das Geheimnis ihrer Beziehung zu Antoni genau darin lag, dass sie sich weder bei dem einen, noch bei dem anderen trafen, sondern auf halbem Wege, umweht vom Duft der alten Bücher und der Lust an verbotenen Freuden. Mama, du kannst diesen Mistkerl doch unmöglich wiedersehen! Such dir eine andere Arbeit, siehst du nicht, dass er dich verschaukelt hat? Leonor hatte sie zu belehren versucht, sie dachte wohl, das Alter hätte sie über Gebühr weich werden lassen und ihre Mutter gäbe neben diesem Schuft eine Witzfigur ab. Er hat mich nicht verschaukelt, erwiderte Dolors stur, sie war die Reden ihrer Tochter leid, und außerdem ist das meine Sache, es ist mein Leben, und auch ich habe ein Recht zu leben, meinst du nicht? Natürlich, Mama, aber wer will schon mit einem Mann zusammen sein, der einen betrogen hat, und dann auch noch in deinem Alter?
Ach, hätte ich deine Worte damals auf einen Kassettenrekorder aufgenommen, Leonor. Ich könnte sie dir jetzt vorspielen. Jetzt bist du es nämlich, die sich hat verschaukeln lassen, jetzt hat ein Mann ganz nach Belieben mit dir und deiner Kollegin getändelt, bis er die Nase vollhatte. Ah! Jetzt weiß Dolors es wieder, Glòria kam an einem der letzten Tage zu Besuch, und zum Glück war Leonor gerade allein zu Haus, denn Glòria fing auf dem Sofa gleich zu heulen an. In Tränen aufgelöst bat sie Leonor um Verzeihung, sodass Dolors schon dachte, gleich fängt meine Tochter auch zu heulen an, denn sie heulte immer nochwegen jeder Kleinigkeit. Doch nein, Leonor war so befremdet, dass sie nicht in Tränen ausgebrochen war. Denn sosehr sie Glòria auch hasste, sie konnte nicht weinen, solange sie nicht wusste, was los war, wovon diese wagnerianische Tragödie handelte, die ihre Exfreundin da vor ihr auf dem Sofa aufführte, diesem Sofa, das sich in eine Bühne für Dramen aller Arten verwandelt hatte.
Natürlich, deshalb weiß Dolors Bescheid über die Sache mit dem Sohn des Chefs, Víctor, über Leonor und über Glòria. Und die beiden wunderten sich darüber, du liebe Zeit, dabei ist das doch der Lauf der Welt, ihr Hübschen.
Ganz anders als die Sache mit Antoni. Leonor drängte sie unablässig, sie solle sich eine andere Arbeit suchen, die Buchhandlung und diesen Windhund von Inhaber verlassen. Ihre Tochter schwang große Reden wie ein Politiker, du hast in meinen Augen den Verstand verloren, hatte sie schließlich sogar zu ihr gesagt, und da war Dolors explodiert. Es reicht, Leonor, ich bin es leid! Ich weiß genau, was ich tue. Und ich wusste, dass er verheiratet war, selbstverständlich wusste ich das!
Bei der Erinnerung daran, wie sie Leonors Gedankengebäude mit diesem Geständnis ins Wanken brachte, muss Dolors lachen. Das arme Kind musste erfahren, dass ihre Mutter eine fürs Himmelreich verlorene Seele war.
»Worüber lachst du, Oma?«
Martí hat den Kopf aus dem Arbeitszimmer gestreckt. Könnte Dolors noch sprechen, würde sie ihrem Enkel jetzt sagen, komm, setz dich zu mir, ich will dir eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Lebens, das wahrlich gelebt wurde, ich habe es ganz bewusst ausgekostet, so wie eine Saftorange, bis zum letzten Tropfen, die Geschichte einesLebens, das so gelebt wurde, wie man leben sollte, wie auch du es leben wirst. Denn Martí wäre der Einzige, der sie verstehen und sich beim Zuhören köstlich amüsieren würde.
Doch Dolors kann nicht sprechen, und in diesem Moment tut es ihr sehr leid, dass sie niemandem mehr mitteilen kann, was ihr auf dem Herzen liegt. Aber vielleicht ist ihre Stummheit ja auch ein natürlicher Schutz, denn die eigene Erfahrung nützt keinem anderen, vielleicht geht es ja darum, zu verhindern, dass all ihre Erlebnisse jemandem wie Martí zu Ohren kommen, der sicher wüsste, wie er davon profitieren kann.
Ohne einen Mucks nimmt Dolors die Handarbeit wieder auf und konzentriert sich erneut auf die letzten Reihen des Ärmels. Sind sie wirklich weit genug? Dolors weigert sich, sie genau nach den aufgeschriebenen Maßen zu stricken, denn jetzt wird Sandra ja in diese Spezialklinik kommen, man wird sie zum Essen zwingen, sie wird zunehmen, und wenn sie dann
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