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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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als »grau« bezeichnet worden wären, an ihm aber definitiv silbern aussahen; dazu eine schwarze Lederjacke über einem weißen Hemd. Er hatte keinen Schirm bei sich, und doch sah es aus, als hätte der Regen höflicherweise darauf verzichtet, auf ihn herunterzufallen, da er vollkommen trocken zu sein schien. Die prachtvolle dunkle Haut seines schönen Gesichts leuchtete vor Kälte.
    »Entschuldigt die Verspätung. Was habe ich verpasst?«
    Dan Hatters war Masons Charme gegenüber nicht immun. Er flatterte aufgeregt wie ein Vogel, der seine Federn putzte. »Wir wollten gerade den neuen Vorsitzenden wählen.«
    »Dann komme ich ja genau richtig. Darf ich …« An dieser Stelle verstummte er kurz, um einen unsichtbaren Hut abzusetzen und dann wie eine Frisbeescheibe davonzuschleudern. »… meinen Hut in den Ring werfen?«
    Niemand hatte bemerkt, dass Aubrey halb aufgestanden war, mit noch leicht gebeugten Knien, offenem Mund und dem Hintern über dem Stuhl schwebend. Langsam, um keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ließ sie sich wieder sinken. Sie stellte überrascht fest, dass sie ein wenig enttäuscht war. Erleichtert – doch auch enttäuscht.Vic tätschelte ihr das Bein, was sicher beruhigend gemeint war, und ließ seine Hand dort liegen.
    »Wir haben gerade die Wahlkampfreden gehört.« Dan Hatters Stimme lud sich mit neuer Begeisterung auf. »Wenn Sie eine vorbereitet haben, wäre noch genug Zeit dafür.«
    »Ob ich eine vorbereitet habe?« Hinten im Raum erhob Mason Boss seine Hände in theatralischer Geste nach oben zur Decke, als wollte er gleich ein Lied anstimmen. Er lächelte, und seine Augen funkelten. »Natürlich habe ich eine.« Er durchschritt den Raum und nahm Dan Hatters’ Platz auf dem Podium ein. Seine Rede war eloquent, leidenschaftlich und charismatisch. Er brachte die Menschen zum Nachdenken und zum Lachen. Er hob den Zeigefinger, um gute und noch bessere Argumente zu unterstreichen. Die Einwohner Tarrytowns waren begeistert; erst später kamen ihnen ein paar Fragen in den Sinn, die sie ihm hätten stellen sollen. Erst später sollten sie sich selbst fragen, ob Mason Boss sie nicht sprichwörtlich um den Finger gewickelt hatte.
    Nach einer Weile schloss er mit den Worten: »Deswegen möchte ich also Vorsitzender der Tappan Watch werden. Sind alle dafür?«
    Die Mitglieder von Tappan Watch klatschten in die Hände.
    »Ich glaube nicht, dass sein Vorgehen dem ordentlichen Regelwerk entspricht«, flüsterte Aubrey Vic aufgebracht zu.
    Dieser nickte. »Vielleicht brauchen wir etwas Unordnung, damit das hier funktioniert.«
    »Vielleicht«, erwiderte Aubrey.
    * * *
    Als sich das Treffen von Tappan Watch auflöste – die Leute strömten so fröhlich auf die Straße, als feierten sie eine Königskrönung –, bestand Vic darauf, Aubrey zurück in die Strickerei zu fahren. Die Dunkelheit ließ das offene Tal auf die kurze Reichweite der Autoscheinwerfer schrumpfen. Der Regen flog im Wind wie Spritzer aus Eis.
    Aubrey saß mit ihrer Stricktasche auf dem Schoß in der Dunkelheit des Pick-ups. Die schmale Fahrerkabine des Transporters roch nach Werkzeugen – metallisch und staubig, aber gar nicht einmal schlecht. Während Vic einen kleinen Umweg fuhr, um dem dichten Verkehr in der Nähe der Feuerwache zu entgehen, wurde Aubrey bewusst, dass sie trotz der heftigen Gefühle, die er in ihr auslöste, nur sehr wenig über ihn wusste. Sie hatten so viele Themen und Probleme zu besprechen – Mariahs Tod, Tappan Watch, Mason Boss, Tappan Squares Zukunft. Alles so ernst und wichtig, dass es schien, als hätten sie die Grundausbildung übersprungen und sich gleich in den Schützengraben gestürzt. Abgesehen von ein paar Einzelheiten, die sie bei ihren Gesprächen an der Ausleihtheke der Bibliothek mitbekommen hatte, konnte Aubrey sich noch kein klares Bild davon machen, wie Vic lebte, wenn er sich nicht gerade ihres eigenen verworrenen Lebens annahm.
    »Also«, setzte sie an, sich der Nervosität in ihrer Stimme bewusst, ohne in der Lage zu sein, natürlicher zu klingen. »Seit wann bist du schon in Tarrytown?«
    »Ich wohne seit etwa achtzehn Monaten in der Gegend. Nach Tappan Square bin ich aber erst vor kurzem gezogen.«
    »Warum bist du aus der Stadt hergekommen?«
    Er lachte. »Die Wahrheit?«
    »Wieso nicht?«
    »Wegen eines Mädchens. Sie wohnte hier und arbeitete in Queens. Ich habe sie in einem Biergarten kennengelernt.Eins führte zum anderen, und ehe ich mich versah, lebte ich schon in

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