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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gewesen sein, um nicht zu merken, was los ist: Die Kleine da ist Erics Tochter. Das hast du vorhin doch selbst erzählt. Geahnt habe ich es zwar schon immer, aber meist sieht man das Offensichtliche nicht, wenn man es nicht sehen will. Zum Glück muss dein Vater das nicht mehr erleben. Noch oben im Himmel wird ihm das weh tun.«
    Für einen flüchtigen Augenblick meinte Magdalena Trauer und Schmerz auf seinem Gesicht zu erkennen. Behutsam berührte sie ihn am Arm. Er machte eine Bewegung, wie um sie abzuschütteln. Gleich hatte er sich wieder in der Gewalt. »Lass uns endlich gehen. Zu viele Väter sind in dem verfluchten Krieg schon draufgegangen. Deshalb sollten wir etwas tun, um wenigstens der Kleinen den Vater zu erhalten. Rupprecht werde ich überzeugen können, uns zu helfen. Roswitha wird uns ebenfalls beistehen. Mehr sollten allerdings nicht eingeweiht werden. Deiner Cousine traue ich nicht über den Weg. Auch den anderen gegenüber müssen wir vorsichtig sein. Bislang ahnt zum Glück kaum einer, dass es Eric Grohnert ist, der als dritter Meuchelmörder von Seume hingerichtet werden soll. Hoffentlich hat Seume unsere Abwesenheit nicht genutzt, ihn aus unserem Zelt zu holen.«
    »Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Magdalena erschrak. »Du hast recht: So kurz vor der Hinrichtung wird er ihn wohl kaum länger unbewacht bei uns liegen lassen.« Sie scharrte mit den Füßen über den Boden. Die Erde war so trocken, dass es staubte.
    »Die Zeit ist knapp«, mahnte der Feldscher.
    »Und was ist mit deiner Wundertinktur? Lässt du das alles einfach so zurück?«
    »Wer soll was damit anfangen?« Meister Johann lachte und klopfte gegen seine Rocktasche. »Das Gift habe ich natürlich bei mir. Da drinnen stehen nur die Kräuter und Phiolen, aus denen es gemischt ist. Das kann ruhig hierbleiben. Von alldem haben wir in unserem Wagen mehr als genug. Es kommt nur auf die besondere Mischung an.«
    »Wie du meinst.« Magdalena hob Carlotta wieder hoch. Die Kleine schlang ihr die Ärmchen um den Hals. Dabei stieß sie gegen den Bernstein. Die Lederschnur öffnete sich, und das kostbare Stück fiel zu Boden.
    Ehe sie es verhindern konnte, bückte Meister Johann sich und hob es auf. Fasziniert hielt er sich den honiggelben Stein vor die Augen, ließ ihn im Schein der Mittagssonne funkeln. Zwischen seinen gewaltigen Fingern wirkte er winzig. Fast hatte es den Anschein, der Feldscher zerdrücke ihn mitsamt dem haarfeinen Insekt zwischen den Fingerkuppen. Anerkennend pfiff er durch die Zähne. »Woher hast du den? Der muss ein Vermögen wert sein.«
    »Der ist unbezahlbar, zumindest für mich!« Rasch ließ sie Carlotta hinunter und schnappte sich den Bernstein. Die Kleine weinte. Mit wackligen Beinchen stand sie da und riss empört an ihrem Rock. Magdalena schenkte ihr keine Beachtung. Starr richtete sie ihr Augenmerk auf den Bernstein. Ein Glück, dass er nicht schon unterwegs verlorengegangen war! Sie wandte sich halb ab, legte die Schnur wieder um den Hals und verknotete sie dieses Mal sorgfältiger. Einen Moment umschloss sie den Stein mit den Fingern der gesunden rechten Hand und wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass die Kraft, die er verströmte, wieder auf ihren Körper überging. Ein Ruck durchzuckte sie. Erleichtert richtete sie sich auf. Ja, das war es, was sie so lange vermisst hatte! Gleich fühlte sie sich besser.
    Ein weiteres Mal wehte ein kräftiger Trompetenstoß herüber. Sacht vibrierte der Boden. Ein gutes Dutzend Reiter preschten vom westlichen Rand des Lagers herüber. Der Staub, den die galoppierenden Pferde aufwirbelten, hüllte sie ein. Carlotta hustete, Meister Johann fluchte. Kaum war die Fahne zu erkennen, die den Reitern voranwehte.
    Gebannt verfolgten sie das Schauspiel, das sich vor ihren Augen bot. Die Kürassiere waren nicht zu beneiden. Unter den Pappenheimerhelmen musste es bei den hohen Temperaturen kaum auszuhalten sein. Auch die schweren, ledernen Stulpenhandschuhe waren sicherlich eine Tortur. Dennoch saßen die Männer stolz in den Sätteln. Die Pistolen in den Halftern rechts und links wirkten nicht minder martialisch wie der lange Degen, der kampfbereit an der linken Seite steckte. Im Sonnenlicht blinkten die Harnische. Die lange Pause nach der letzten Schlacht hatte dafür gesorgt, dass jeder ihn auf Hochglanz poliert hatte.
    Von dem glockenförmigen Haubenhelm mit dem breiten Nasenschutz wurde den Männern die Sicht so weit eingeschränkt, dass sie von Magdalena und Meister

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