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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Ufer der Ohm abzeichnete, dennoch waren die Bäume entlang des Flusslaufs gut erkennbar. Die Kleine zeigte mit dem Finger nach Norden, wo sich das Lager befand, und brabbelte.
    »Ja, da ist unser Quartier.« Versonnen blickte Magdalena dorthin. Aus der Ferne strahlte das riesige Lager mit all den verschiedenartigen Zelten und Wagen, Unterständen und abgezäunten Flächen noch immer eine beeindruckende Würde aus. Sorgsam bewacht grasten Pferde und Zugochsen die Felder am Rand ab. Deutlich sah Magdalena, wie dürr die Tiere waren. Spätestens im nächsten Winterlager kamen wieder bessere Zeiten, wenn nicht schon bald nach dem Aufbruch aus dieser Gegend, tröstete sie sich. In Bayern, so hieß es, warteten gutgefüllte Magazine. Das ewige Auf und Ab von Not und Überfluss gehörte zum Leben im Tross wie die Nacht zum Tag.
    Dicht aufgereihte Wagenkolonnen markierten den äußersten Rand des Lagers, die großen und kleinen Zelte der einfachen Soldaten schlossen sich in ordentlicher Linie dicht dahinter an. Die ehemals bunten, in der prallen Sonne längst verblassten Fahnen hingen schlaff an den Stangen, nicht weniger träge bewegten sich die kleinen Punkte der Menschen durch die Gassen. Es war einfach zu heiß.
    Jäh zerriss ein kräftiger Trompetenstoß die Stille. Erschrocken schrie Carlotta auf und presste sich die Händchen auf die Ohren.
    »Keine Sorge, alles in Ordnung«, beschwichtigte sie Magdalena und nahm sie schützend auf den Arm. Gebannt starrten sie beide zum Lager. »Das ist das Signal, sich auf die Rückkehr der Schweden vorzubereiten. Seume hat eben bei Elsbeth davon gesprochen.«
    Anschwellender Trommelwirbel erklang. Zwischen den Unterkünften entfaltete sich hektische Betriebsamkeit. Zunächst drang nur einzelnes Rufen zu ihnen herüber, bald erhob sich allerdings ein solcher Lärm, dass die Stimmen nicht mehr unterscheidbar waren. Hunde bellten, mehrere Schüsse lösten sich. Dunkle Gestalten liefen aufgeregt hin und her.
    »Nicht mehr lang, und die Infanteristen exerzieren durch die Lagergassen«, erklärte Magdalena weiter. »Die Musketiere polieren eifrig die Waffen, und die Kürassiere satteln die Pferde. Dann werden aus dem Tross diejenigen zusammengerufen, die beim Instandsetzen der Schanzen von Nutzen sind. Du wirst staunen, wie gut jeder weiß, was er zu tun hat.«
    Mit der ausgestreckten Hand deutete sie an, wo sich die Anlagen befanden, die kurz nach der Ankunft des Heeres auf geeignetem Kampfgebiet einige Meilen weiter nordöstlich angelegt worden waren. »In der sengenden Hitze hat keiner mehr dafür gesorgt, dass die erhalten bleiben. Umso wichtiger ist es, sie jetzt in Schuss zu bringen. Da, schau, ein Trupp Zimmerleute schwärmt aus, am Berg Holz zu schlagen. Siehst du die breiten, dunklen Hüte und die scharfen Äxte? So hat dein Vater in Freiburg ausgesehen. Der war nämlich auch Zimmermann.«
    Wie oft hatte Eric so vor ihr gestanden? Dass die Zimmerleute schon ausgeschickt wurden, wunderte sie. Wahrscheinlich waren die Männer in Regiment und Tross trotz des Schrecks über die Rückkehr der Schweden auch froh. Endlich wussten sie wieder, wofür sie die Schwerter schärften, ihre Kugeln gossen und die Kanonen putzten. Eine Aufgabe zu haben war allemal besser als das zermürbende Warten. Gerade in den letzten Jahren, in denen die großen Schlachten mit dem Feind seltener und die Pausen dazwischen immer ausgedehnter geworden waren, bot ein Kampf willkommene Abwechslung. Ein Gefecht mit Wrangels Regiment und seinen hessischen Verbündeten versprach davon mehr als genug, immerhin hatte die erhoffte Schlacht zur Eroberung der Stadt zum Verdruss vieler Soldaten gar nicht stattgefunden.
    »Wir müssen zurück. Wenn uns tatsächlich ein Gefecht bevorsteht, gibt es viel vorzubereiten. Was denkst du, haben wir alles zu tun, bis wir im Lazarett die Verwundeten behandeln können? Dabei weiß ich gar nicht, wo ich die Kräuter für die Salben hernehmen soll. Diese Dürre lässt nichts mehr wachsen! Auch das Leinen ist knapp, vom Branntwein für die Betäubung ganz zu schweigen. Nicht nur Meister Johann wird sich wohl etwas zurückhalten müssen mit seinem Durst.«
    Wieder meinte sie, Carlotta hörte ihr genau zu. Gerade das, was sie nicht auszusprechen wagte, schien sie am ehesten zu begreifen. Verständnisvoll schien die Kleine zu nicken, während sie kaum wagte, den Gedanken zu Ende zu denken: dass das Auftauchen der Schweden der richtige Moment für Seume war, Erics Hinrichtung anzusetzen.

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