Die Wundärztin
Das Schauspiel würde die Stimmung gewaltig anheizen. Voller Rachegelüste würden sich die Kaiserlichen danach den Feinden entgegenwerfen.
Die Erinnerung an Erics geheimnisvolle blaue Augen, mit denen er sie eindringlich ansah, raubte ihr den Atem. Auf die gleiche Art sah Carlotta sie gerade an. In diesem Moment begriff sie: Diese Augen brechen zu sehen, würde sie nicht ertragen. Die Zweifel an Erics Redlichkeit änderten nichts daran, dass sie ihn noch immer liebte. Roswitha hatte recht: Allein ihrer Liebe wegen musste sie ihn retten, ganz gleich, ob er ihre Gefühle erwiderte oder nicht.
»Nicht so hastig, Magdalena! Nur nichts überstürzen.« Eine wohlbekannte Stimme rief sie von der anderen Seite der Büsche. Meister Johann stand dort. Das Gesicht rot angelaufen, die Nase bläulich gefärbt, die Augen verquollen, wankte der kräftige Mann auf sie zu.
»Was machst du hier?« Während sie ihn musterte, fragte sie sich, wie es ihm gelungen war, unbemerkt an sie heranzukommen, und wie viel er von dem recht einseitigen Gespräch zwischen ihr und Carlotta gehört hatte. Jetzt erst fiel ihr der halbverfallene Verschlag ein paar Schritte hinter den Büschen auf. Dort musste der Feldscher sich verborgen haben. War das der geheimnisvolle Ort, an den er sich in der letzten Zeit zurückgezogen hatte? Was hatte er dort getan, und wie hatte ihr der Unterstand entgehen können? Der Leichtsinn hätte tödlich für Carlotta und sie sein können!
»Was mache ich hier wohl? Herumstolzieren wie ein eitler Pfau.« Das Zwinkern misslang dem Feldscher gründlich, dennoch wusste sie, auf wen er anspielte: Hagen Seume.
»Deine Scherze bringen mich leider nicht zum Lachen.«
»Soll ich dir was anderes zeigen? Vielleicht habe ich da drinnen was, was dich aufmuntern kann.« Einladend wies er mit dem Kinn auf den Unterstand. Sosehr es sie reizte, in sein Geheimnis eingeweiht zu werden, zögerte sie, ihm zu folgen. Ein weiterer Trompetenstoß aus Richtung des Lagers bestätigte ihr, dass es nicht die rechte Zeit war.
»Hast du mitbekommen, was Seume gesehen haben will?«
»Ach, das alte Lügenmaul! Was hat er denn nun schon wieder?« Meister Johann winkte ab, als gelte es, eine lästige Fliege zu verscheuchen. »Da drin in dem Unterstand arbeite ich an einer ganz besonderen Tinktur. Wenn mir gelingt, umzusetzen, was ich im Kopf habe, dann ist es bald vorbei mit Seume, glaub mir! Ein Schluck davon, und er wird elend zugrunde gehen. Ein ganz besonderes Gift, nur für ihn, das wird die gerechte Rache sein für meine arme Anna und den Wurm, der nie hat leben dürfen!«
Als sie seinen Blick sah, lief es Magdalena kalt den Rücken hinunter. War der Feldscher verrückt geworden? Andererseits hatte sich keiner so gut im Griff wie er. Selbst nach einer durchzechten Nacht gelang ihm noch der schwierigste Eingriff.
»Lass uns deine Tinktur zu einem anderen Zeitpunkt bewundern.« Vorsichtig setzte sie Carlotta zu Boden. »Wir müssen ins Lager zurück und uns auf einen Angriff vorbereiten. Keine zwei Tage, meint Seume, und die Schweden stehen wieder vor uns.«
»Das hat er wohl mit eigenen Augen gesehen, was?« Verächtlich schnaubte Meister Johann. »Seume lügt doch, dass sich die Balken biegen. Wenn er die Schweden tatsächlich gesehen haben will, kann das kaum heute Morgen gewesen sein. Entweder stehen sie schon weitaus näher vor unserem Lager, dann aber müssten auch wir sie sehen, oder er sieht Gespenster. Es gibt nirgendwo Schweden, die noch zwei Tage bis zu uns brauchen.«
»Hm.« Wenn Magdalena mit etwas Abstand darüber nachdachte, musste sie ihm recht geben. Viel zu unbedarft hatte sie Seume vorhin geglaubt. Ihr Blick streifte Meister Johann. Eigentlich ein Wunder, dass der regelmäßige Alkoholgenuss nicht längst sein Hirn zerfressen hatte. Messerscharf denken und schlussfolgern konnte er noch immer wie kein Zweiter. Vielleicht arbeitete er in dem Verschlag nicht allein an einer giftigen Tinktur für Hagen Seume, sondern auch an einem Elixier, das ihm Wunderkräfte verlieh?
»Trotzdem ist klar, was das heißt: Seume kann es kaum mehr erwarten, Eric endlich am Strick baumeln zu sehen.« Meister Johann hob den Blick und schaute in die Ferne, als sehe er dort bereits den Galgen. »Wenn wir was für ihn tun wollen, dann jetzt, sonst ist es zu spät.«
»Was?« Vor Überraschung riss sie die Augen auf. Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben.
»Was ist?« Meister Johann wirkte beleidigt. »So besoffen kann ich nie
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