Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
ich möchte euch zuerst eine alte Geschichte erzählen.“
„In den alten Zeiten,“ berichtete der Finne, indem er sich bei den Männern niederließ, „sah das ganze Land nördlich vom Wenersee ganz entsetzlich aus. Überall waren nur kahle Hochebenen und steile Bergkegel. Für Menschen war es ganz unmöglich, da zu wohnen und zu leben. Wege konnten nicht gebahnt werden, und der Boden war nicht zu bebauen. Das Land südlich vom Wenersee dagegen war auch in jenen Zeiten schon ebenso fruchtbar wie am heutigen Tage.
Nun wohnte damals im südlichen Teile ein Riese, der sieben Söhne hatte. Alle sieben waren kecke, kräftige Männer; aber sie hatten einen stolzen Sinn, und es herrschte sehr oft Unfriede unter ihnen, weil jeder mehr sein wollte als der andere.
Der Vater war des ewigen Streitens und Zankens müde, und um ein Ende zu machen, versammelte er eines Tages die Söhne um sich und fragte sie, ob sie geneigt wären, es auf eine Probe ankommen zu lassen, damit er als Vater herausfinde, welcher von ihnen der Tüchtigste sei.
O ja, die Söhne waren sehr damit einverstanden; sie wünschten sich gar nichts Besseres.
‚Dann wollen wir die Sache folgendermaßen einrichten,‘ sagte der Vater. ‚Ihr wißt, nördlich von dem kleinen Teich, den wir den Wenersee nennen, liegt eine Einöde, die so voller Erdschollen und Gerölle liegt, daß wir gar keinen Nutzen davon haben. Morgen soll nun jeder von euch mit seinem Pflug hinausfahren und dort soviel umpflügen, als ihm in einem Tag möglich ist. Gegen Abend komme ich dann zu euch hinaus, zu sehen, wer am meisten geleistet hat.‘
Kaum war die Sonne am nächsten Morgen aufgegangen, als die Brüder auch schon mit den bespannten Pflügen bereit standen. Es war der Mühe wert, sie zur Arbeit abfahren zu sehen! Die Pferde waren glänzend gestriegelt, das Eisen blinkte, und die Pflugschar war frisch geschliffen. Sie fuhren fast im Galopp davon, bis sie am Wenersee angekommen waren. Da wichen einige von den Brüdern auf die Seite, aber der älteste fuhr geradeswegs in den See hinein. ‚Sollte ich mich vor so einer kleinen Pfütze fürchten?‘ sagte er vom Wenersee.
Als die andern diesen Mut sahen, wollten sie auch nicht zurückstehen. Sie stellten sich auf die Pflüge und trieben die Pferde ins Wasser hin. Es waren lauter große Pferde, und es dauerte eine gute Weile, bis sie keinen Grund mehr unter sich hatten und schwimmen mußten. Die Pflüge trieben auf dem Wasser hin, aber für die Männer war es nicht leicht, sich darauf festzuhalten. Einige von den Söhnen ließen sich von den Pflügen ziehen, und einige mußten waten; aber sie erreichten doch alle das jenseitige Ufer, und dort angekommen, machten sie sich alle sogleich an die Arbeit, die Einöde zu pflügen, die nichts weniger war als der Landstrich, der später Wärmland und Dalsland genannt wurde.
Der älteste von den Söhnen sollte die mittelste Furche pflügen, die beiden nächsten stellten sich zu beiden Seiten von ihm auf, und wieder die beiden nächstältesten nahmen zu beiden Seiten von diesen Platz; von den beiden jüngsten aber pflügte jeder seine Furche, der eine ganz am westlichen Ende, der andere aber im östlichsten Teil der Einöde.
Der älteste Bruder zog mit seinem Pfluge im Anfang eine breite und gerade Furche, denn unten am Wenersee war der Boden ganz eben und deshalb leicht umzubrechen. Es ging rasch vorwärts, bis er an einen großen Stein kam, an dem er nicht vorbeikommen konnte, sondern er mußte den Pflug darüber hinwegheben. Dann stieß er die Pflugschar aus aller Macht in den Boden und schnitt eine breite, tiefe Furche. Aber kurz nachher traf er auf so hartes Erdreich, daß er gezwungen war, den Pflug zu heben. Dasselbe wiederholte sich noch einmal, und der Riesensohn ärgerte sich, daß er die Furche nicht die ganze Strecke gleich breit und tief ziehen konnte. Schließlich wurde der Boden ganz hart, und er konnte mit seiner Pflugschar nur noch eine Ritze darauf zustande bringen. Auf diese Weise gelangte er aber schließlich doch an die nördliche Grenze des Feldes. Dort setzte er sich nieder und wartete auf den Vater.
Der zweite Bruder pflügte auch eine breite, tiefe Furche, und er hatte Glück, denn er fand eine gute, flache Strecke zwischen Erdschollen, daß er seine Furche ohne Unterbrechung ziehen konnte. Da und dort wich er an einer Schlucht etwas aus, und je weiter er nach Norden kam, desto mehr Ausbiegungen mußte er machen, und desto schmäler wurde seine Furche. Aber er
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