Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
kennt, hatte er den Ausflug vorgeschlagen. Das Noguchi ist wirklich fantastisch. Wir hatten den Fußweg über die Roosevelt Bridge genommen, was – wie Nate aus zuverlässiger Quelle wusste – genau der Weg war, den der Bildhauer jeden Morgen zur Arbeit ins Atelier gegangen war. Es ist unmöglich, dass Isamu Noguchis erstaunlich einfache Skulpturen aus Marmor, Alabaster, Terrakotta und Schiefer einen nicht berührten. Ich hatte den Eindruck, dass es den anderen Besuchern bei der Betrachtung seiner Werke genauso ging, herrschte doch in jedem Raum eine geradezu meditative Ruhe.
Der einzige Moment unserer Unterhaltung, an den ich mich noch genau erinnere, war, als wir durch den Skulpturengarten
schlenderten und die warme Herbstsonne genossen. Wir hatten über irgendetwas anderes geredet, als Nate auf einmal ganz still wurde.
»Es ist wunderschön hier«, sagte ich schließlich, um irgendetwas zu sagen.
Nate blieb vor einer Steinskulptur stehen, über die Wasser rann, und sein Gesicht spiegelte sich gebrochen in der leichten Wellenbewegung.
»Es ist so ruhig und friedlich«, meinte er, und seine Stimme klang weit entfernt. »Hier kann man alles vergessen, was einem sonst so durch den Kopf geht.«
»Zum Beispiel?«
Er seufzte so schwer, dass ich fast zu sehen meinte, wie die Last seiner Sorgen ihn niederdrückte. »Ach, keine Ahnung, Rosie. Manchmal wünsche ich mir, das Leben wäre wie dieser Garten – so ruhig und friedlich, so einfach und klar strukturiert.«
»Klingt schön, würde dich aber wahnsinnig machen.«
Überrascht sah er mich an. »Warum?«
»Weil du ein echter New Yorker bist und inmitten von Chaos und Unvorhersehbarkeit erst so richtig aufblühst. Wäre in deinem Leben alles einfach und klar strukturiert, würdest du dich bald langweilen.«
»Wie gut du mich doch kennst«, meinte er und lächelte zu meiner Erleichterung wieder.
»Und was hat er dann gesagt? Hat er Mimi oder Caitlin erwähnt? Oder sonst jemanden ?« Celia schaute mich so ungeduldig an wie ein Kind, das wissen will, wann denn nun endlich der Weihnachtsmann komme.
»Nein, das war eigentlich alles. Und dann hat er das Thema gewechselt.« Ich piekste mit der Gabel in das pochierte Ei auf meinem Teller und schaute zu, wie das sattgelbe
Dotter über meine Pfannkuchen sickerte. »Aber ich hatte den Eindruck, dass das mit den beiden abgemachte Sache ist. Nate redet zwar viel davon, was wäre wenn , aber am Ende bleibt er dann doch mit ihr zusammen.«
Das Pärchen am Nebentisch fing auf einmal an zu kichern. Celia und ich schauten zu den beiden hinüber – sie hielten Händchen auf dem blau karierten Tischtuch.
»Hast du auch manchmal das Gefühl, dass es bei allen anderen immer irgendwie weitergeht, nur du kommst nicht von der Stelle?«, rutschte es mir heraus.
Celia seufzte schwer. »Nicht nur manchmal, Rosie. Nicht nur manchmal.«
12
Es überrascht mich immer wieder, wie plötzlich die Dunkelheit im Herbst hereinbricht, wenn die kürzer werdenden Tage dem Winter entgegeneilen. Vielleicht ist der Herbst ja meine liebste Jahreszeit – besonders dann, wenn ich durch den Central Park spaziere und die Bäume sich in herbstlich bunte Farbenpracht hüllen. Das mochte ich so an Boston, und bei meinem Umzug nach New York fürchtete ich, dass ich dort vom Wechsel der Jahreszeiten nicht viel mitbekommen würde, doch zu meiner großen Freude ist der Herbst in New York ebenso fantastisch. Von September an scheint die Stadt mit jeder Woche immer verzauberter zu werden, und ab November und Thanksgiving beginnt sie geradezu zu funkeln.
Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich das mit den Amerikanern und Thanksgiving am Anfang nicht so ganz kapiert. Mir kam das Ganze wie ein seltsam archaisch legitimierter Vorwand für ein großes Essen vor, und wenn ich Leute fragte, weshalb Thanksgiving denn so wichtig wäre, konnte es mir auch niemand erklären. Zumindest nicht so, dass ich es verstanden hätte. Doch dann lernte ich Celia kennen und erlebte ein echtes Celia-Reighton-Thanksgiving, und seitdem sehe ich das Ganze mit anderen Augen.
Drei Grundzutaten gehören dazu: köstliches erlesenes Essen, dessen Anblick die britischen Feinkosthändler von Fortnum & Mason vor Entzücken erschaudern ließe, eine Gästeliste, für die Jay Leno über Leichen ginge – und natürlich Celia als vollendete Gastgeberin. Erst als ich an ihrer opulent gedeckten Thanksgiving-Tafel saß, verstand ich, was das Fest meinen amerikanischen Freunden bedeutete. Dazu muss
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