Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
vorstellen kann. Erst wurden sie von ihren Familien verstoßen, später mussten sie flüchten, um der Judenverfolgung zu entgehen. Als sie hier ankamen, hatten sie nichts , und bis heute leben sie praktisch von der Hand in den Mund. Keines ihrer Kinder lebt mehr – sie sind alle noch vor ihrem fünften Lebensjahr gestorben. Ihre Liebe ist das einzig Wertvolle, das sie je besaßen. Sie haben alles aufgegeben, um zusammen sein zu können. Die beiden leben uns vor, was mit der ›Macht der Liebe‹ gemeint ist. Ihnen zu Ehren sollten wir uns nicht mit weniger zufriedengeben.« Ich hielt verlegen inne. »Jetzt habe ich mich aber ganz schön hinreißen lassen«, lachte ich.
Nates Lächeln war warm und herzlich. »Allerdings. Aber das ist schon in Ordnung, denn so lerne ich dich wenigstens richtig kennen.«
»Ja, was denn nun – kommt er jetzt zu meinem Thanksgiving-Dinner, oder nicht?« Celia schien am Ende ihrer Geduld, als sie am Morgen des großen Tages (zugleich einer unserer Samstage) aus der Küche kam.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. Gedankenverloren nahm ich einen Bagel zur Hand und legte ihn wieder zurück.
»Männer!« Celia setzte sich zu mir an den langen Holztisch und schaute zum Fenster hinaus. »Dieses Jahr bekommt die Thanksgiving-Parade von Macy’s bestimmt Schnee ab. Da liegt so was in der Luft.«
»Kein Wunder – wenn der Weihnachtsmann schon dabei ist.«
Celia schaute mich verdutzt an und lachte. »In dir steckt wirklich noch ein kleines Kind! Wie läuft es eigentlich so bei Nate und dir?«
Das dürfte die indiskreteste Frage des Jahrzehnts gewesen sein, aber Celia stellte sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich sie ihr nicht übelnehmen konnte. »Gut, danke.«
Doch damit gab Celia, ganz investigative Journalistin, sich nicht zufrieden. Sie war scharf auf eine Geschichte, und sie würde ihre Geschichte bekommen – komme, was da wolle. »Und wie gut genau?«
Ich gab mich geschlagen. »Okay. Also, einmal die Woche kommt er auf einen Kaffee bei Kowalski’s vorbei, meistens montags oder donnerstags, so gegen drei. Und manchmal treffen wir uns auch am Wochenende und gehen irgendwo hin, beispielsweise ins Noguchi-Museum. Oder ins Rubin Museum of Art. Kürzlich waren wir bei einer Lesung im Buchladen des Schriftstellerkollektivs im East Village, den du so magst. Und wir reden.«
Hätte Celia einen internen Druckmesser eingebaut, wäre er jetzt wahrscheinlich im roten Bereich. »Ich weiß , dass ihr redet … Ihr redet schon seit Wochen ! Worüber redet ihr denn die ganze Zeit?«
»Also, eigentlich fing alles damit an, dass Nate ›seine‹
Geschichte herausfinden wollte, und jetzt, wo wir uns ein bisschen besser kennen, haben wir den Themenkreis langsam erweitert. Wir reden über alles und jeden – was uns gerade so durch den Kopf geht. Ich kann es nicht erklären, aber ich bin glücklich , wenn ich mit ihm zusammen bin. Er bringt mich zum Lachen, und ich fühle mich wohl. Außerdem gefällt mir, dass er … ja, dass er einfach nicht alles über mich weiß. Er kennt mich nur so, wie ich jetzt bin – nicht, wie ich war, als ich nach New York kam. Oder wer ich in England war. Oder in Boston … Ich hatte völlig vergessen, wie aufregend eine neue Freundschaft sein kann, wenn man wirklich bei null anfängt. Er nimmt mich so, wie ich bin, und versucht mir nicht zu sagen, wie ich mein Leben leben soll. Das gefällt mir. Wir reden also, wir lachen zusammen, wir trinken Kaffee – und es ist einfach wunderbar. Meistens landen wir dann doch irgendwann bei Nate und seinem Liebesleben – aber um deiner Frage zuvorzukommen: Nein, es gibt nichts Neues zu berichten.«
Celia schnaubte gereizt und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie erinnerte mich an eine Dreijährige in der Trotzphase. »Dieser Mann ist wirklich nervtötend ! Du solltest ihm mal sagen, dass sein einziger Lebenszweck darin besteht, uns über sein spannendes Privatleben auf dem Laufenden zu halten.«
Lächelnd ließ ich meinen Blick zum Fenster schweifen. »Weißt du, Celia, bei unserer letzten Unterhaltung haben wir tatsächlich über mein Privatleben geredet.«
Hätte man Celia gesagt, dass sie die Hauptrolle in einem George-Clooney-Film ergattert hätte, könnte sie nicht mehr gestaunt haben, als sie es jetzt tat. » Was? Oh, Rosie, hast du ihm etwa erzählt, was in Boston passiert ist?«
Jetzt war es an mir, sie entgeistert anzuschauen. »Nein, natürlich nicht! Aber ich habe ihm von Mr. Kowalski
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