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Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran

Titel: Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Assolant
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Beherrscher der gesamten tierischen wie menschlichen Natur? Kann man denn einer armen Tigerin, die kaum von der Zivilisation beleckt war, den Vorwurf machen, ihre Leidenschaften und ihren Appetit nicht zügeln zu können, wenn man jeden Tag mitansehen muß, wie es den mächtigsten Herrschern, die mit der allergrößten Sorgfalt von gelehrten Ministern geführt und von Kindheit an mit der Weisheit der Philosophen gefüttert wurden, an den elementarsten Gepflogenheiten der Moral und Vernunft gebricht?
    Corcoran machte sich also Sorgen, und das zu Recht. Er sah, wie Louison den unglücklichen Sugriva schon mit den Augen verschlang, und fürchtete einen nicht wiedergutzumachenden Vorfall. Aber sie waren in einer Situation, wo kaum Zeit blieb, sich die Mahlzeit aussuchen zu können, und an Louisons Verhalten bemerkte Corcoran, daß sie Hunger hatte.
    Nun gut, dachte er, besser, sie holt sich einen Engländer, als daß sie überhaupt nichts ißt oder meinen armen Freund Sugriva zu sich nimmt. Er rief Sugriva.
    „Hast du Hunger?“ fragte er ihn.
    „Natürlich.“
    „Hast du etwas zu essen bei dir?“
    „Nein.“
    „Willst du essen?“
    Sugriva betrachtete den Kapitän verwundert, als ob er an dessen Verstand zweifle.
    „Ja, ja, ich weiß schon, was du denkst“, sagte Corcoran. „Du fragst dich, wo das Souper bleibt. Dort ist es.“
    Und er zeigte auf die in einiger Entfernung auf ihren Teppichen lagernden Engländer, die soeben mit der Mahlzeit begonnen hatten.
    „Mein Freund“, fuhr Corcoran fort, „Louison wird ausbrechen. Sie wird sich einen Wachtposten schnappen. Draußen wird man zu den Waffen greifen. Du schlängelst dich durch das Gras, nimmst von den Engländern soviel Lukullitäten, wie du schleppen kannst, und bringst sie so schnell wie möglich hierher. Verstehst du jetzt? Ich werde dir mit meinen zwei Revolvern Feuerschutz geben und, falls nötig, dir sogar zu Hilfe eilen…, abgemacht?“
    „Abgemacht“, erwiderte der Brahmane. Louison erhielt ihrerseits Instruktionen, die ihr der Kapitän eindringlich, mehr mit Gesten als mit Worten, erläuterte. Übrigens war die Tigerin so intelligent, daß sie sofort das Ziel ihres Ausbruchs verstand; sie zwängte sich freudig durch den Torspalt. Sugriva folgte ihr augenblicklich.
    Die Engländer, die nicht im geringsten damit rechneten, daß einer der Eingeschlossenen versuchen würde auszubrechen, und die sich auch deshalb sicher wähnten, weil sie in der Mehrzahl waren, aßen, tranken und schwatzten fröhlich. Der Mond erhellte deutlich die ganze Szenerie.
    Der Posten, der das Tor der Pagode überwachte, stand etwa zehn Schritt vom Eingang entfernt. Mit zwei Sätzen hatte ihn Louison angesprungen, entwaffnet und mit ihren Zähnen das Genick durchgebissen.
    Bei diesem Lärm, beim Schrei des sterbenden Wachtpostens, griffen alle Engländer zu den Waffen und bemühten sich, den Feind auszumachen. Der Anblick Louisons, die sich gespenstisch vor dem nachtdunklen Himmel abhob, ließ für einen Moment auch die Kühnsten zurückweichen. Diese Verwirrung und die Dunkelheit nutzte Sugriva, der, nur mit einem um die Lenden gewickelten Tuch bekleidet und sich kaum von der übrigen Umgebung abhebend, bis zu der Stelle kroch, an der der Proviant auf einem Tischtuch ausgebreitet lag. Hastig raffte er Brot, Fleisch und einige Flaschen Wein an sich. Ohne daß man ihn bemerkt hätte, kehrte er wieder zurück.
    Um die Aufmerksamkeit der Engländer abzulenken, gab Corcoran zwei Revolverschüsse durch das Fenster ab, die niemandem weh taten. Man antwortete ihm aus vierzig Karabinern. Die Kugeln prallten an der Mauer der Pagode ab. Während dieses Schußwechsels lief Sugriva gebückt die restlichen fünfzig Schritte, die ihn noch vom Eingang trennten, und glitt mit seiner Beute durch die Öffnung in die Pagode.
    Militärisch und ökonomisch war der Ausfall ein einzigartiger Erfolg gewesen, aber es gab ein Problem: Louison wollte nicht wieder zurückkommen. Umsonst ließ der Kapitän sein gewohntes Pfeifsignal ertönen; Louison hielt ihren Engländer im Maul und wollte nicht von ihm lassen.
    Die anderen Engländer schossen auf sie, was ihre Flinten hergaben, aber bei der Entfernung und der Dunkelheit wären Treffer reiner Zufall gewesen; und keiner der Belagerer wollte sich in der Dunkelheit an die Verfolgung eines so unberechenbaren Gegners wagen. Corcoran war nicht wohl. Außer der gegenseitigen Freundschaft, die beide miteinander verband, hatte er sich gerade durch Louison

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