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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Hutten: «Ja, auch Luther hat irgendwann einmal so etwas gesagt. Seine Schriften haben für alle Menschen Gültigkeit.»
    «Wie aber sieht es bei uns, in unserer Stadt, mit dem rechten Glauben, der aus der Seele kommt, aus?», lenkte Johann von Schleußig ab. «Die Augustiner-Chorherren bestimmen bei uns, was der rechte Glaube ist. Und dort, wo sie keine Antwort wissen, da reden die Barfüßer und die Pauliner. In ihren Klöstern werden die Ablasskränze ausgelegt. Sie sind es auch, die die Bauern in der Umgebung zur Verzweiflung bringen mit immer neuen Steuern und Zehnten.»
    «Und sie sind es, die die Wissenschaft behindern», warf Adam ein. «Sie beherrschen die Leipziger Universität. Wirkönnten die neuesten Erkenntnisse lehren, die aus Italien oder gar aus Arabien zu uns kommen, denn dort ist die Heilkunst schon einen Schritt weiter. Aber sie nehmen die Lehren derer, die in ihren Augen ungläubig sind, nicht an. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viele Kranke schon gestorben sein mögen, weil die Kirche die Wissenschaft beschneidet. Eine Trennung von Geistlichkeit und Universität ist nötig.»
    «Langsam, langsam», warf Johann von Schleußig ein. «Wir können nur mit kleinen Schritten vorangehen. Die Leipziger sind verwirrt. Sie wissen nicht, wonach sie sich richten sollen. Viele gibt es, die Luther anhängen. Doch Herzog Georg der Bärtige ist ein Feind Luthers. Was also sollen sie glauben? Wonach sich richten? In den Gassen und Straßen, am Brunnen und auf dem Markt hören sie von Luther. Was sie hören, gefällt ihnen. Am Sonntag aber donnern die Priester das Gegenteil von der Kanzel. Einen Ketzer nennen sie den Doktor aus Wittenberg, einen, der schon nach Rom vorgeladen worden war. Was sollen die braven Bürger denken? Was sollen sie tun? Wie viele gibt es, die nicht lesen können? Wie viele gibt es, die das Denken nicht gewohnt sind? Die Priester haben große Macht auf das, was die Leute meinen.»
    «Nun», sagte von Hutten. «Dann müsst Ihr, der Ihr auch ein Priester seid, dem etwas entgegensetzen. Ihr habt die Macht der Worte.»
    «Unmöglich! Ich bin der Priester von St.   Nikolai. Niemals kann ich von der dortigen Kanzel nach Luther predigen.»
    «Dann seid Ihr nicht besser als die, die ihr anprangert. Dann gehört Ihr zu denen, die Wasser predigen und Weinsaufen. Schließlich sagt Ihr dort, wo Ihr reden könnt, nicht das, was Eure Seele Euch befiehlt.»
    Priska sah, dass Johann von Schleußig errötete. Seine Kieferknochen mahlten, und eine blaue Ader auf seiner Stirn war hervorgetreten.
    Adam sprang ihm zur Seite. «Wenn er auch nicht das sagt, was in seinem Herzen umgeht, so redet er wenigstens nicht wider seine Seele. Er belügt die Leute nicht; er betrügt sie nicht, verkauft ihnen das Seelenheil nicht für einen Ablasszettel.»
    «Das reicht nicht», erwiderte Ulrich von Hutten. «Einer müsste sich finden, der in der Kutte von der Kanzel zu den Leuten spricht. Sein Wort sollte durch die Kirchen donnern. Alles, was einer in der Kirche sagt, gilt als wahr. Das war schon immer so, das ist so, und das wird auch so bleiben.»
    «Ihr meint, ich solle nach Luther predigen?», fragte Johann von Schleußig.
    Von Hutten nickte. «Wer, wenn nicht Ihr?»
    «Aber nicht in St.   Nikolai!»
    «Nun, es gibt noch mehr Kirchen in der Stadt. Wie wäre es zum Beispiel mit der Johanniskirche in der Altstadt? Auch diese Kirche untersteht Euch, Johann von Schleußig, aber einen eigenen Priester hat sie nicht. Mal predigen die Chorherren, mal die Pauliner, ein anderes Mal die Barfüßer. Ihr habt das Recht, ebenfalls dort zu predigen.»
    Der Priester seufzte, fuhr mit dem Finger unter seinen engen Kragen und rieb sich den Hals. «Wohl ist mir dabei nicht», sagte er.
    Adam nickte. «Das versteht jeder. Die neue Zeit verlangt von uns allen Opfer. Meine Schwester hatte gar ihr einziges Kind hergeben müssen.»
    Er blitzte den Priester an. Priska trat unter dem Tisch an sein Schienbein, um ihn zu bremsen, doch Adam war in Fahrt gekommen. «Nichts nützt es, wenn wir heimlich im dunklen Kämmerlein bereden, was alles gut und was schlecht ist. Wenig nützt es, den Leuten auf dem Markt die Flugblätter vorzulesen. Sie brauchen jemanden, der ihnen die neue Zeit erklärt. Noch haben wir es in der Hand. Wer weiß wie lange noch. Unser Landesherr will den Lutheranern nichts Gutes. Kann sein, dass wir bald in Leipzig kein Bleiberecht mehr haben. Wenn wir aber mehr und immer mehr werden, wenn halb Leipzig zu uns gehört,

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