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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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dann hat der Herzog keine Möglichkeit. Er kann nicht die Hälfte seiner Bewohner der Stadt verweisen.»
    «Gut!», sagte Johann von Schleußig und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. «Gut. Ich werde in Johannis predigen. Ich werde die Schriften Luthers als Grundlage für meine Worte nehmen, werde erklären, was die Menschen wissen möchten, werde sie überzeugen von dem, was Luther sagt.»
    Mit diesen Worten stand er auf und beendete die Fraternitätssitzung.
    Auf dem Heimweg fragte Priska: «Hat er zu dir über Eva gesprochen?»
    Adam schüttelte den Kopf. «Nein. Aber ich weiß, dass er sich schuldig fühlt. Schließlich war er dabei, als Aurel zu Tode kam. Und er hat es nicht vermocht, Eva zu trösten und ihr Halt zu geben. Gehört habe ich, dass er jeden Tag stundenlang in der Kirche sitzt und betet.»
    «Vielleicht reicht beten allein nicht aus», meinte Priska. «Es reicht nicht, Gott zu lieben und darüber den Menschen zu vergessen. Wenn ich einen Menschen liebe, dann liebeich in ihm auch Gottes Schöpfung. Er aber hat über der Liebe zu Luther und Gott die Liebe zu Eva vergessen. Soll er sich ruhig quälen; er hat es verdient.»
    «Was redest du da, Priska? Weißt du etwa, wo Eva ist?»
    Priska nickte. «Ja, ich weiß es. Ich habe nach ihr gesucht, und ich habe sie gefunden. Aber kein Wort werde ich euch darüber sagen.»
    Adam bat noch lange, doch Priska ließ sich nicht erweichen. «Ich sage auch dir erst, wo sie ist, wenn ich sicher sein kann, dass du genügend Verständnis aufbringst. Sie braucht dich jetzt nicht, und es geht ihr gut. Das muss dir reichen.»
     
    Zwei Wochen später hielt Johann von Schleußig in Leipzig einen Gottesdienst, der als erste evangelische Predigt Eingang in die Annalen der Stadt fand. Der Tag war grau, doch manchmal drang die Sonne ein wenig durch die Wolken. Ein frischer Wind wehte, zupfte die ersten Blätter von den Bäumen und warf sie auf die feuchte, satte Erde. Vögel formierten sich am Himmel und zogen in keilförmigen Reihen über die Stadt.
    «Es wird bald Herbst werden», sagte Priska und zog ihren leichten Umhang enger um ihre Schultern. «Man kann es bereits riechen.»
    Adam nickte abwesend. Er stand vor St.   Johannis und betrachtete die Besucher aufmerksam. Viele Bauern aus der Umgebung waren gekommen, Handwerker in einfachen Kitteln, Mägde und Knechte. Aber auch einige Kaufleute waren dabei, Scholaren und Professoren der Universität, ein paar Beginen und sogar zwei Ratsherren. Beinahe vollständig war die Zunft der Drucker vertreten, allen voran Kunz Kachelofen und Melchior Lotter.
    «Lass uns hineingehen», drängte Priska und zog Adam am Ärmel.
    Sie setzten sich sehr weit nach vorn und nickten Johann von Schleußig zu, der bereits unter der Kanzel stand und mit zwei Männern redete, die an ihrer Kleidung als wandernde Gesellen zu erkennen waren. Priska sah, dass Johann von Schleußig sehr aufgeregt war. Immer wieder fuhr er mit der Hand unter dem Kragen entlang, drehte den Kopf nach rechts und links. Dann verkündete die Glocke den Beginn des Gottesdienstes.
    Der Anfang des Gottesdienstes zog sich in die Länge. Schließlich aber stand Johann auf der Kanzel. Er sprach nicht von Luther, nannte seinen Namen nicht. Aber er redete von der Freiheit der Christenmenschen und davon, wie man zum Heil und zum rechten Glauben gelange. Einfache Worte wählte er – und er predigte auf Deutsch. Jeder verstand ihn. Der arme Bettler, der sich neben die Kirchentür gehockt hatte, ebenso wie die Begine, der Landmann und die Kaufmannsgattin.
    Priska sah die leuchtenden Augen der Zuhörer. Sie waren bewegt von seinen Worten, sie glaubten ihm. Und auch sie, die keine Lutherische zu sein meinte, war überzeugt. Ja, so wie Johann von Schleußig sprach, so war es richtig. So war auch früher heimlich in der Silberschmiede geredet worden. Und jetzt war die neue Zeit schon so weit, dass man sie öffentlich verkünden durfte.
    Stolz überkam Priska. Stolz und Glück, dass sie dabei sein durfte.
     
    Doch lange währten das Glück und der Stolz nicht. Nur wenige Wochen nach der Predigt ließ Herzog Georg einenstrengen Befehl gegen die Lutherischen ergehen. Keine Schriften durften mehr verteilt, keine Predigten mehr gehalten werden.
    «Was werdet Ihr jetzt tun?», fragte Priska den Priester beim nächsten Treffen der Fraternität.
    Johann von Schleußig lächelte. «Ich werde weitermachen wie bisher. Ich werde in der Nikolaikirche predigen und sagen, was ich meine, aber den

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