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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Chorherren ließen sich auch von einer schlechten Ernte nicht dazu bewegen, auch nur auf ein Lot ihres Zehnten zu verzichten. Als sich die Zuckelhäuser Bauern dann aber erhoben und beschlossen, den Zehnt nicht zu zahlen, damit ihre Kinder nicht verhungern mussten, da schickten die Chorherren ein kleines Heer Söldner.›»
    Eva unterbrach sich und schluckte, dann sah sie Priska aus großen Augen an. «Seine Mutter liebt ihn, wie ich Aurel geliebt habe», sagte sie leise, und dabei rannen ihr Tränen über die Wangen.
    «Komm nach Hause, Eva», bat Priska leise. «Es gibt jemanden, der auf dich wartet.»
    Eva schüttelte den Kopf. «Nein. Ich bleibe hier, ich will nicht zurück nach Leipzig, will die feisten Gesichter über den schwarzen Kutten nicht mehr sehen. Auch der Dr.   Martin Luther ist ein Augustiner. Kein Chorherr zwar, aber ein Mönch.»
    «Er steht auf der Seite der Armen. Er hat sich gegen den Ablass ausgesprochen. Gerechtigkeit für alle will Dr.   Luther. Den Papst hat er aufgefordert, nach seinen Ablasskrämern zu sehen.»
    «Mag sein», erwiderte Eva. «Gerade 21   Jahre ist der Melchior alt. Mein Aurel war 14   Jahre, als er starb.»
    Von draußen waren Schritte zu hören. Melchior war zurückgekehrt, trug wieder die Axt über der Schulter.
    Priska betrachtete ihn. Er hatte ein Gesicht mit feinen, weichen Zügen, ganz und gar nicht wie das eines Bauern. Sein Haar glänzte in der Sonne. Nur der Mund war schmal von Sorgen und Kummer.
    «Was hast du mit ihm vor?», fragte Priska.
    «Ich will ihm in die Augen sehen», erwiderte Eva. «Er istvielleicht kein gewöhnlicher Mörder. Doch mir hat er den Sohn gemetzelt. Sehen will ich die Schuld in seinem Blick. Krümmen soll er sich unter meinen Augen.»
    «Willst du ihn töten?», fragte Priska. «Willst du Leid auf Leid häufen?»
    «Frieden will ich, Priska. Jede Nacht höre ich Aurel im Traum nach mir rufen. Jede Nacht wache ich auf, und das Kleid klebt an meinem Körper. Jeden Abend habe ich Furcht, mich niederzulegen, habe schon am Nachmittag Angst vor den nächtlichen Träumen. ‹Mama›, höre ich Aurel rufen. ‹Mama, wo warst du? Warum hast du mir nicht geholfen?› Es ist, als wäre seine Seele unerlöst, als könne auch er keinen Frieden finden.»
    Sie griff nach Priskas Händen und sah sie mit brennendem Blick an. «Ich werde alles tun, was nötig ist, um meinem Kind seinen Frieden zu geben. Denn erst dann werde auch ich Frieden haben.»
    «Man kann einen Tod nicht mit einem anderen vergelten, Eva. Mach dich nicht unglücklich.»
    «Ich bin unglücklich, Priska. Was soll mir schon geschehen? Ich sagte schon, dass ich mich nach Ruhe und Frieden sehne. Nach nichts sonst.»
    Priska wusste keine Antwort. Sie hielt Evas kalte Hände in ihren, dachte an Nora und verstand die Schwägerin plötzlich. Auch sie würde keinen Frieden finden, wenn die Seele ihrer Tochter unerlöst wäre.
    «Bevor ich Mutter wurde», sagte sie leise, «kannte ich die Kraft der Liebe nicht, die man zu seinem Kind empfindet. Nun scheint mir, dass diese Kraft die stärkste ist, die es gibt auf dieser Welt. Sie ist größer als die Liebe zum Manne, größer als die Liebe zu Gott.»
    Sie löste ihre Hände aus Evas, umarmte die Schwägerin und küsste sie. «Gott sei bei dir.»
    Dann verließ sie die Hütte. Draußen blieb sie stehen, auch sie wollte den Mann sehen, der ihrer Schwägerin so viel Leid zugefügt hatte.
    «Grüß Euch Gott», rief sie.
    Melchior hielt inne, ließ die Axt sinken. «Grüß Euch Gott, Herrin. Was führt Euch in unseren Wald?»
    Seine Augen blickten sie misstrauisch an. «Kommt Ihr aus der Stadt?»
    Priska nickte. «Ich war schon einmal hier in Eurem Dorf», sagte sie. «An dem Tag, als die Schlacht war.»
    Der junge Bauer zog die Augenbrauen zusammen. «Ein schwarzer Tag war das für unser Dorf.»
    «Und für Euch?»
    Das Gesicht des Mannes verdunkelte sich. «Es war der schwärzeste Tag meines Lebens.» Priska sah ihn an. An Oberarmen, Schultern und Rücken entdeckte sie verknotete Narben, die von Rutenschlägen stammten. Priska musste ihn nicht fragen, sie wusste auch so, dass seine Lehnsherren ihn gezüchtigt hatten. Er ist kein Mörder, dachte sie. Er ist ebenso arm wie Eva. Sie tragen beide keine Schuld.
    Sie nickte ihm einen Gruß zu, dann ritt sie nachdenklich nach Hause.
     
    Schon vor der Tür hörte sie das Geschrei: «Du willst mir nicht helfen. Ich wusste es von Anfang an. Du willst dich rächen an mir, an einer armen, schwachen

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