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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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gewandt: «Sie wird es gut haben bei mir.»
    Dann nahm sie das Mädchen sanft am Arm und führte sie in die Kate. Priska folgte ihr.
    Eva saß in dem einzigen Raum an einem hölzernen Tisch und schnitt Bohnen. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie Priska sah. Sie sprang auf, umarmte die Schwägerin.
    Priska war überrascht. So unbeschwert hatte sie Eva schon lange nicht mehr gesehen.
    «Es ist schön, dich zu sehen», sagte sie, dann deutete sie auf das Mädchen. «Wer ist das? Was ist mit ihr?»
    «Ich werde die Bohnen weiterschnippeln», teilte die Alte mit. «Das Mädchen wird mir dabei helfen. Ihr geht am besten hinüber zum Brunnen und holt mir zwei Eimer mit frischem Wasser.»
    Priska verstand. Die Alte wollte nicht, dass Margarete noch einmal an die schrecklichen Geschehnisse erinnert wurde.
    Sie nahm Eva am Arm und zog sie ins Freie. Dann erzählte sie ihr, was geschehen war. Dass Margarete ebenfalls eine Henkerstochter war, verschwieg sie.
    «Ich werde mich um sie kümmern», versprach Eva und setzte sich auf den Brunnenrand.
    «Wie geht es dir?», fragte Priska. Eva lächelte und nahm Priskas Hand.
    «Ich möchte dir danken, dass du mein Geheimnis bewahrthast», sagte sie leise. «Ich habe immer gewusst, dass du mich verstehst. Das war schon so, als du mit zwölf Jahren zu mir gekommen bist. Schon damals hattest du eine Weisheit, die ich erst hier gefunden habe.»
    «Du willst ihn nicht mehr töten?»
    Eva schüttelte den Kopf. «Eines Abends hat es ein fürchterliches Gewitter gegeben. Ich hatte Angst. Große Angst sogar. Doch plötzlich hat es an der Tür geklopft. Melchior ist davorgestanden, mit einer Plane in der Hand. ‹Meine Mutter schickt mich. Sie meint, Ihr wärt besser im Dorf aufgehoben.› Er hat mich hierher gebracht und ist dann zurückgegangen in seine eigene kleine Kate.»
    Eva griff nach Priskas beiden Händen. «Ich habe ihm in die Augen gesehen. Ganz lange, Priska.»
    «Und? Was hast du darin erblickt?»
    «Unschuld», erwiderte Eva. «Einfach nur Unschuld.»
    «Eine Unschuld, die wir lange schon verloren haben, nicht wahr?»
    Eva nickte. «Wir haben beide die schrecklichsten Seiten der Liebe erlebt. Wir wissen, dass Liebe töten kann. David wollte mich umbringen, Baptist ist auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wir haben den Abgrund der Hölle gesehen. Und nun auch Margarete.»
    «Ja. Wir drei glauben nicht mehr, dass alle Menschen gut sind. Wir wissen um das Dunkle in den Seelen. In allen Seelen.»
    Priska senkte die Stimme, dann fuhr sie fort: «Ich habe Adam so lange vergeblich geliebt. Ich habe erst aufgehört, als Baptist brannte. Nun liebe ich Aron, einen Juden. Und er liebt mich. Wir beide kennen die Abgründe der Liebe. Deshalb können wir einander vertrauen. Deshalb sind wiruns ähnlich, sind verwandt. So, wie ich mit dir verwandt bin, Eva. So, wie wir seit heute mit Margarete verwandt sind. Und vielleicht sogar mit Melchior.»
    «Und ich», erwiderte Eva, «könnte nun auf Johann von Schleußig aufpassen. Er weiß nichts von der Liebe. Gar nichts. Er hat immer nur Gott geliebt.»
    Sie schüttelte den Kopf und legte sich eine Hand auf die Stirn. «Wie einfach das ist. Gott lieben. Ohne Gefahr für Leib und Seele. Wir jedoch haben unter Gefahren geliebt. Deshalb kann ich Johann zwar lieben, aber er wird mich niemals auf die passende Art wiederlieben können.»
    Priska stand auf. «Vielleicht täuschst du dich, Eva. Auch er hat verloren.»
    «Wen denn? Was denn?»
    «Zuerst Aurel, den er geliebt hat wie einen Sohn. Und dann dessen Mutter.»

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Der Herbst kam und mit ihm die Stürme. Der Wind heulte durch die Gassen, wirbelte Unrat, Blätter und Staub mannshoch. Er trieb dicke, dunkle Wolken vor sich her, aus denen der Regen unaufhörlich strömte. Wie ein grauer Vorhang hing der Niesel seit Tagen über dem Land. Nebel wallten nicht nur in den Auen. Oft, wenn Priska am Morgen das Fenster öffnete, konnte sie nicht bis auf die andere Straßenseite sehen. Obwohl noch nicht alle Blätter von den Bäumen gefallen waren, war es meist schon so kühl, dass Priska kleine Nebelwölkchen mit der Atemluft ausstieß.
    «Ist der Oktober rau, wird der Januar lau», versuchte sie sich mit einer Bauernweisheit zu trösten.
    In der letzten Woche hatte sie warme Daunenbetten für Eva und Margarete nach Zuckelhausen gebracht und sich versichert, dass die Speisekammer voll und auch genügend Feuerholz vorhanden war. Noch immer sprach Margarete nicht, doch sie hatte

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