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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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senden, doch es gelang ihm nicht. Das linke Auge war so zugeschwollen, dass Priska nicht wusste, ob sich darunter nur noch die leere Höhle verbarg. Sein Mund war blutverkrustet, an der Schläfe klaffte eine Wunde.
    «Was tut Euch alles weh?», fragte Priska.
    «Fragt lieber, was mir nicht wehtut», erwiderte der Mann. Er wollte sich drehen, doch dies musste ihm solche Schmerzen bereiten, dass er nur aufstöhnte und sich langsam in die alte Lage zurückgleiten ließ.
    Priska hockte sich neben ihn und musterte seinen Körper.
    «Ich fürchte, Eure Schulter ist aus den Gelenken gesprungen. Euch fehlen ein paar Zähne, und wahrscheinlich ist Euer Körper von blauen Flecken übersät. Habt Ihr Blut gespuckt?»
    «Nein, nur Zähne», murmelte der Mann.
    «Hmm!», machte Priska. «Wenn ich nur wüsste, ob Ihr auch im Inneren Verletzungen habt.»
    Der Mann schüttelte leicht den Kopf und stöhnte gleich darauf wieder.
    «Ich habe Tritte bekommen, aber es geht schon, glaube ich. Meine Rippen scheinen etwas abbekommen zu haben, die Schulter tut höllisch weh, und auch im unteren Bereich des Rückens habe ich Schmerzen von den Stiefeltritten.»
    «Stiefeltritte? Was ist hier eigentlich geschehen?»
    Priska half dem Mann, sich aufzurichten. «Ich werde Euch mit nach Hause nehmen. Mein Mann ist der Stadtarzt. Er wird Euch helfen können.»
    Als Priska die Hand des Mannes ergriff, war es plötzlich um sie geschehen. Sie sah nicht mehr den Verletzten, sondern den Mann.
    Und er sah Priska.
    Das war alles. Nur zwei Blicke, die sich trafen.
    Was mache ich hier?, dachte Priska. Allein im Wald mit einem Fremden? Müsste ich nicht Angst haben? Oder wenigstens Vorsicht walten lassen? Jeder weiß, was für Gesindel sich gerade hier herumtreibt. Aber ich habe keine Angst. Ganz im Gegenteil. Alles kommt mir so richtig vor.
    «Danke für Euer Angebot, Doktorsfrau, aber ich kann es nicht annehmen. Ich bin Jude. Und wie Ihr wohl wisst, haben Juden kein Aufenthaltsrecht in der Stadt. Während der Messe achtet man nicht so streng auf diese Regel, aber noch hat die Messe nicht begonnen. Euer Ruf würde Schaden nehmen.»
    «Pff! Unser Ruf! Adam hat sich noch nie um unseren Ruf geschert.»
    Der Satz war aus ihr herausgebrochen. Sie hatte gesprochen, ohne nachzudenken, doch jetzt fragte sie: «Ein Jude seid Ihr? Ein Hostienschänder?»
    Der Mann lachte, dann stöhnte er. «Das Lachen bereitet mir Schmerzen. Aber ja, ich bin das, was die Christenmenschen einen Hostienschänder nennen. Ich bin einer derjenigen, die verpflichtet sind, einen spitzen Hut zu tragen. Einer von denen, denen eine Tischgemeinschaft mit Christen verboten ist. In vielen Städten leben wir Juden von den Christen getrennt in eigenen Straßenzügen mit Toren hinten und vorn. Und in Leipzig sind wir gar nicht erwünscht.»
    Die Rede war mit lächelndem Mund vorgetragen, doch Priska konnte die Bitterkeit dahinter spüren.
    «Was ist geschehen?», fragte sie wieder.
    «Ich bin überfallen worden. Mein Hab und Gut war wohl zu wenig. So meinten die Spitzbuben, mir das Blut aus dem Leib schlagen zu müssen.»
    Er stöhnte wieder und hielt sich die Brust. Erst jetzt sah Priska, dass auch dort Blut durch den Stoff seines Leinenhemdes quoll.
    «Lasst mich sehen, was Ihr da habt!»
    Behutsam öffnete sie das Hemd und schrak zurück. Auf der linken Brust klaffte eine Fleischwunde, die heftig blutete. Priska betrachtete den Wundrand, zog ihn vorsichtig mit zwei Fingern auseinander. «Die Wunde ist nicht tief, habt keine Sorge», sagte sie. «Aber Ihr müsst hier weg. Ihr könnt nicht im Wald liegen bleiben. Die Nächte sind noch zu kühl.»
    Sie redete, sah dabei auf ihre Hand, die noch immer auf der Brust des Fremden lag. Plötzlich glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen, denn die Hand – ihre Hand – begann, den Mann zu streicheln. Priska starrte darauf, unfähig aufzuhören, unfähig, woanders hinzusehen. Ihre Hand wollteihr nicht mehr gehorchen, streichelte sanft die Haut des Fremden.
    Lüstern kam sie sich vor, sünd- und triebhaft, aber ihre Hand hörte einfach nicht auf. Scham stieg in Priska hoch. Was würde der Fremde von ihr denken? Würde er sie für eine wie Regina halten? Oder schlimmer?
    «Das tut gut», hörte sie ihn sagen. «Streicheln, das erzählte mir schon meine Mutter, ist die beste Medizin.»
    «Ich   … ich   …», stotterte Priska, schloss für einen Moment die Augen und wandte alle Kraft auf, um ihre Hand zurück unter ihren Willen zu zwingen.
    «Verzeiht. Ich

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