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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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mit den Achseln und versuchte, dem bittenden Blick der Hübschlerin auszuweichen. Nein, sie würde keine Abtreibungen vornehmen. Sie konnte es nicht und wollte es auch nicht können. Zu tief saß in ihr der Gedanke an die Schuld und Sünde, die sie damit beging.
    So klopfte sie ihr nur ermunternd auf die Schulter und drängte sich rasch an ihr vorbei.
    Draußen schöpfte sie tief Atem. Es gab etwas in ihr, das sie zu den Huren hinzog. Priska wusste nicht genau, was es war, aber es hatte etwas mit dem Begehren zu tun. Nunwusste sie, dass das Begehren ein seltener Gast in diesem Hause war.
    Nachdenklich ging Priska über die lehmigen Gassen zurück in Richtung Stadttor. Einmal blieb sie stehen, sah zum Himmel hinauf, der zartblau leuchtete. Es roch nach Frühling. Die ersten Schneeglöckchen blühten am Weg, die ersten Vögel erprobten ihre Stimmen. Die blasse Sonne wärmte noch nicht, doch sie spendete Licht. Mit dem Frühling kehrten die Farben zurück, die der Winter geraubt hatte. In den letzten Monaten war alles grau gewesen: Der Himmel, die Gassen, die Häuser, sogar die Luft war ihr grau erschienen. Heute aber waren die Farben wieder da. Fröhlichkeit machte sich in ihr breit. Zum ersten Mal seit vielen Wochen fühlte sie sich unbeschwert. Priska beschloss, hinüber in die Auen zu gehen und nach den ersten Kräutern zu sehen.
    Obwohl sie schon kurz vor dem Stadttor war, vor dem sich die Wagenkolonnen der Händler aus aller Herren Länder drängten, die zur Fastenmesse nach Leipzig kamen, kehrte sie um und machte sich auf den Weg in die Auen.
    Als Erstes suchte sie nach Eichenrinde. Kochte man einen Sud daraus, half dieser bei Nasenbluten, Entzündungen, Monatsbeschwerden, Erbrechen und Durchfall. Außerdem hatte Priska von der Kräuterfrau gelernt, aus der Rinde ein Mittel herzustellen, das die Haare schwarz färbte. Die Nachbarin wollte es haben.
    Vor allem aber wollte sie heute zu den Weiden, die am Flussufer wuchsen. Die Kräuterfrau hatte früher immer die Blätter fein gerieben, mit etwas Pfeffer gemischt und in Wein gestreut. Dieses Mittel sollte Schwangerschaften verhüten. Darüber konnte Priska inzwischen nur lachen. Sie glaubte eher, dass ein Weidenmittel den Männern die Lustnahm, aber das war ja auch schwangerschaftsverhütend. Sie selbst benutzte den Sud aus Weidenrinden und -blättern , um fiebersenkende Tränke daraus herzustellen. Auch Schmerzen ließen sich damit gut lindern.
    Sie raffte ihre Röcke, denn in den Auen gab es sumpfige Stellen. Dann schob sie ihre Haube zurecht, stellte den Korb neben sich und begann, die zarten Weidenblätter zu pflücken. Plötzlich war ihr, als höre sie ein Röcheln. Sie hielt inne, schaute sich nach allen Seiten um. Die Moorfrau fiel ihr ein, von der die Fischer erzählten, sie schwebe über den Sümpfen und locke Ahnungslose in den Tod.
    Sie schüttelte sich und ärgerte sich über ihren Aberglauben. Es gab keine Moorfrauen. Adam hätte sie ausgelacht.
    Sie zupfte ein paar Blätter von der Weide, als das Röcheln wieder zu hören war. Ganz nah war es. Und es klang, als käme es von einem Menschen!
    «Ist da jemand?», rief Priska und hörte selbst, dass ihre Stimme ein wenig schrill klang. «Ist da wer?»
    Nichts. Nur der Wind spielte in den Blättern der Weide und ließ sie raunen und flüstern.
    Priska zuckte die Achseln. Sie wollte weitermachen, als sie eine Ahnung überkam. Langsam drehte sie sich um, lehnte mit dem Rücken an der Weide. Ganz still war es nun, selbst die Vögel hatten aufgehört zu singen. «Ist da jemand?», fragte Priska, doch diesmal so leise, dass sie sich selbst kaum hören konnte.
    «Hier», hörte sie da die Stimme. Gebrochen klang sie, kraftlos.
    Priska stieß sich von dem Stamm ab. Ihr Herz schlug ruhig und gleichmäßig. Obwohl sie allein in den Flussauen war, in denen sich oft Zigeuner, Spitzbuben und entlaufeneSöldner versteckten, hatte sie keine Angst. Sie griff nicht einmal nach dem kleinen Messer, das sie gewöhnlich in einer Lederscheide am Gürtel trug. Leicht vornübergebeugt, um besser hören zu können, suchte sie nach dem Ursprung der Stimme.
    «Wo?», rief sie.
    «Hier!»
    Endlich, nach ungefähr 30   Schritten, sah sie ein Bündel am Boden liegen. Nein, das war kein Mensch mehr, das war nichts als ein Haufen blutbesudelter Kleider.
    Sie beugte sich nieder und sah einen Mann mit langem Haar, langem Bart und Schläfenlocken. Er versuchte, aus seinem zu Brei geschlagenen Gesicht ein Lächeln in Priskas Richtung zu

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