Die Wunderheilerin
noch einmal von oben bis unten an, dann wies er Priska mit der Hand die Richtung. «Hier entlang.»
Sie eilten durch einen schmalen, dunklen Gang, in demes muffig und feucht roch und der überdies so schlecht beleuchtet war, dass man kaum die Hand vor Augen erkennen konnte. Einmal streifte etwas Priskas Fuß, und sie schrie leise auf. «Was war das?»
«Nichts weiter. Eine Ratte vielleicht. Die gibt es hier unten zuhauf», erwiderte Adam und spähte durch die vergitterten Türen, hinter denen die armseligsten Gestalten hockten. Endlich hatten sie die Zelle von Bruder Baptist gefunden.
Adam schloss auf. Der Mönch, der sich nun nicht mehr so nennen durfte, lag auf einem fauligen Strohsack mit dem Rücken zur Tür und rührte sich nicht.
Adam eilte zu ihm, rüttelte leicht an seiner Schulter. «Baptist, ich bin es.»
Langsam drehte der Mann sich um, und Priska erschrak über seine Jugend. Das Kinn war weich wie das eines Jungen, die Haut zwar grau, aber straff und glatt.
«Adam, du bist gekommen! Ich wusste es.»
Er griff nach Adams Hand und bedeckte sie mit Küssen. Priska wandte sich ab.
«Ich bin gekommen, um mein Versprechen einzulösen», sagte Adam leise. «Und um von dir Abschied zu nehmen.»
«Du wirst nicht brennen, nicht wahr, mein Lieber? Du hast dich retten können? Sag mir, dass es so ist, damit mir das Sterben leichter wird.»
Adam antwortete nicht. Er holte den Wein aus dem Korb, nahm auch Brot und Braten heraus. Baptist stutzte: «Warum der Wein und das Essen? Ich dachte, du bist gekommen, um mir den Tod zu bringen. So, wie du es mir versprochen hast.»
Adam seufzte. Er strich Baptist über das Haar und sagte leise: «Ja, ich bin gekommen, um dir den Tod zu bringen. Doch bis er eintritt, sollst du dich stärken für deine Reise.»
«Mach schnell», forderte Baptist. «Ich will nicht länger leiden. Ich warte bei Gott auf dich.»
Priska sah, dass Adam zögerte. Seine Hände zitterten so stark, dass er den Leinenbeutel mit den Eisenhutblättern kaum aufbekam.
Sie nahm ihm den Beutel aus der Hand, öffnete ihn und schüttete die blauen Blüten in Adams Hand.
«Was ist das?», fragte Baptist.
«Eisenhut», erklärte Adam mit zitternder Stimme. «Ich habe reichlich davon mitgebracht. Es wird schnell gehen.»
«Gib es mir», verlangte Baptist. Er hatte sich aufgerichtet und lehnte mit dem Oberkörper an der feuchten Zellenwand. Priska sah, dass sein Kopf mit Beulen und blauen Flecken übersät war.
Adams Hand bewegte sich nicht. Er hielt den Eisenhut und starrte darauf.
«Adam, gib mir das Kraut», drängte der Mönch. Er trug eiserne Ketten an den Füßen, die an einem Ring in der Wand verankert waren, und konnte sich kaum bewegen.
«Komm, gib!»
Adam rührte sich nicht. Er starrte auf das Kraut, als sähe er den Teufel vor sich. Nach einer kleinen Weile, die Priska endlos erschien, blickte er auf, und sie sah, dass in seinen Augen Tränen standen. «Ich kann es nicht», murmelte er.
«Doch, du musst, und du kannst», befahl Priska streng.
«Willst du mich wirklich im Rauch ersticken lassen?», fragte Baptist gequält. «Willst du wirklich so grausam sein?»
Adam bewegte sich immer noch nicht. Seine Schultern waren zusammengesunken, Priska erkannte feine Schweißperlen auf seiner Oberlippe. Sie packte seine Hand am Gelenk und zog daran. Nicht fest, aber doch so, dass Adam aus seiner Erstarrung gerissen wurde. Sie zog ihn hoch, führte ihn zu Baptist und drückte ihn auf den Boden. Adam ließ alles mit sich geschehen, als wäre ihm der eigene Wille abhanden gekommen.
«Gib mir das Kraut», bat Baptist. «Lieber, ich bitte dich. Wenn du mich liebst, so lässt du mich nicht länger leiden.»
«Gerade weil ich dich liebe, kann ich dich nicht leiden sehen», entgegnete Adam.
«Jetzt mach endlich», fuhr Priska wenig feinfühlig dazwischen. «Er hat es nicht verdient, dass du ihn so hinhältst.»
Adam sah zu Priska. Ganz grau war sein Gesicht, ganz eingefallen. Hilf mir, ich kann das nicht, flehte sein Blick, doch Priska schüttelte stumm den Kopf.
Diesen kurzen Augenblick nutzte Baptist. Er packte Adam, zog dessen Hand zu seinem Mund und fraß den Tod aus der Hand des Liebsten. Dann seufzte er und sagte: «Gib mir Wein, bitte.»
Adam füllte den Becher. «Du musst schnell trinken», sagte er. «Gleich beginnt dein Mund zu kribbeln, dann geht das Kribbeln auf den ganzen Körper über.»
Baptist, dessen Augen wie glühende Kohlenstücke loderten, nickte, nahm den Becher, trank ihn in
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