Die Wunderheilerin
Sehnsucht und Neubeginn.
Sie hätte gern geweint, doch die Tränen kamen nicht. Immer wieder sah sie das Bild aus dem Verlies vor sich: Adam, der seinen Liebsten ans Herz gedrückt hielt. Baptist hatte Adam am Herzen gelegen. Sie, Priska, noch nie.
Ihr Platz war an Arons Herzen gewesen. Nein, beschloss sie in diesem Augenblick, in dem die ersten Hähne zu krähen begannen. Ich werde den Platz an Arons Herzen nicht wegen Adam aufgeben. Ich werde versuchen, beides zu haben: eine gottgefällige Ehe und eine Liebe.
Priska stand auf, wusch sich, richtete das Frühstück. Die Magd klapperte mit den Eimern, lief zum Brunnen, um Wasser zu holen.
Als die ersten Sonnenstrahlen durch das Küchenfenster drangen, stand ein Kessel mit dampfender Grütze auf dem Tisch. Adam kam herein, sprach kein Wort, doch seine rot geränderten Augen und seine zerbissenen Lippen erzählten von der letzten Nacht. Stumm setzte er sich zu Tisch, stocherte in der Grütze herum.
«Iss!», befahl Priska. «Es hat keinen Sinn zu hungern. Damit änderst du nichts.»
Adam rührte sich nicht. Die Magd sah Priska an, nahm den Henkelkorb und flüchtete: «Ich gehe auf den Markt.»
Kaum war sie draußen, ließ Priska ihren Löffel fallen.
«Es reicht mir», sagte sie so laut, dass Adam zusammenzuckte. «Dein Selbstmitleid kennt offenbar keine Grenzenmehr. Dir ist Schlimmes widerfahren, das ja. Aber nun ist es genug. Du wirst dich heute um deine Kranken kümmern, wirst ins Laboratorium gehen und endlich wieder das machen, was du zu deinem Ziel erklärt hast.»
Adam sah hoch. «Ich bade im Selbstmitleid, glaubst du?»
Priska nickte heftig.
«Nun, wenn du das meinst, dann weißt du nichts von den Qualen der Liebe.»
«Wie kannst du das sagen? Wer gibt dir dieses Recht? Was weißt du von meinen Gefühlen …»
Das Hämmern an der Tür schnitt ihr das Wort ab. Sie stand auf, bedachte Adam mit einem wütenden Blick und ging hinaus.
Der Richter, der den Vorsitz bei Adams Anhörung innehatte, stand vor der Tür. «Gott zum Gruße, Kopperin», sagte er und nahm sein Barett ab. Priska sah, dass sich die Nachbarin weit aus dem Fenster lehnte, um nichts zu verpassen.
«Kommt herein», bat sie deshalb schnell und führte den Mann in die Küche.
«Gott zum Gruße, Stadtarzt», grüßte der Richter, setzte sich und ließ sich von Priska einen Becher gewürzte Milch einschenken.
«Was führt Euch zu uns?»
Der Richter legte sein Barett auf den Tisch, faltete die Hände und legte sie auf die Holzplatte. «Der Barfüßer wird heute noch zum Tode verurteilt. Für übermorgen ist die Hinrichtung angesetzt. Ich habe den ältesten der Stadtärzte zum Richtplatz beordert. Aber es wäre gut für Euch, wenn Ihr bei der Hinrichtung dabei wärt.»
«Warum das?», fragte Adam kraftlos. «Haben meine Familie und ich nicht genug gelitten?»
«Nun, für Euer Leid bin ich nicht zuständig. Wohl aber für die Gerechtigkeit in dieser Stadt. Eure Anwesenheit könnte so manches Schandmaul stopfen.»
Er trank den Becher mit der Milch aus, wischte sich den Mund ab, nahm sein Barett. «Es ist ein guter Rat, Dr. Kopper. Ihr entscheidet, ob Ihr ihn annehmt oder nicht.»
«Wir werden kommen!», sagte Priska.
«Das ist gut», erwiderte der Richter, legte kurz eine Hand auf Adams Schulter, dann fragte er: «Wollt Ihr gar nicht wissen, wie es ihm geht?»
Adams Blick, mit dem er den Richter ansah, war verstört.
«Natürlich möchten wir wissen, wie es ihm geht!», mischte sich Priska sofort ein.
«Ich würde sagen, es geht ihm den Umständen nach gut», sprach der Richter, grüßte und verließ das Haus. Priska seufzte erleichtert auf. Offensichtlich würde Adams und ihr Besuch im Verlies keine Folgen haben.
Jede Hinrichtung glich einem Volksfest. Immer wenn der Galgen oder der Scheiterhaufen aufgebaut worden war, kamen die fliegenden Händler aus allen Teilen der Stadt herbei. Die Garküchen verkauften mehr als an einem normalen Markttag. Gaukler fanden sich am Rande, spien Feuer, jonglierten mit Bällen; Wahrsagerinnen lasen aus der Hand, Bettelmönche und Flagellanten verkündeten den drohenden Weltuntergang. Die Mägde hatten sich bunte Bänder ins Haar geflochten und kicherten, auch Ablasshändler machten gute Geschäfte.
Sogar das Wetter war in Volksfeststimmung. Die Sonne strahlte von einem blitzblauen Himmel herab. Kein Wölkchen trübte ihren Glanz.
Die Handwerker standen nach Zünften verteilt beieinander und sahen zur großen Gruppe der
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