Die Wunderheilerin
Margarete, sag auch dem Fremden meinen Dank.»
«Er ist weg, der Fremde.»
Priska nickte. Margarete aber sah sie an, als warte sie auf etwas. «Was ist?», fragte Priska.
«Ihr … Ihr habt mir etwas versprochen», sagte sie.
«Ja, das habe ich», erinnerte sich Priska.
Im selben Augenblick kündigten die Stadtpfeifer an, dass die Hinrichtung nun begann. Priska wandte sich um, sah, wie Baptist leblos zwischen zwei Bütteln hing, die ihn zum Scheiterhaufen schleppten.
Gott sei Dank ist er tot, dachte sie, dann wandte sie sich an Margarete.
«Du kannst mich nach Hause begleiten», sagte sie. «Ich muss mich umziehen. Dabei kann ich dir erklären, was du wissen musst.»
Sie nahm das Mädchen beim Arm, sah sich noch einmal nach Adam um, dessen Blick fest auf Baptist gerichtet war. Ich habe auch Verpflichtungen, dachte sie und verließ mit Margarete den Platz.
Im Haus in der Klostergasse war es angenehm kühl. Priska führte Margarete in die Küche, bot ihr einen Platz und einen Becher Wasser an. Dann reinigte sie ihr Gesicht, wechselte Haube und Kleid und setzte sich zu ihr.
«Du willst wissen, wie man Lust gewinnt – oder?»
Margarete nickte. Von draußen drang der Lärm vom Marktplatz durch das Sporergässchen bis in die Klostergasse.
«Meint Ihr, es ist der rechte Zeitpunkt?», fragte das junge Mädchen schüchtern. «Wollen wir nicht lieber warten? Bis zur nächsten Woche vielleicht?»
Priska lächelte und schüttelte den Kopf. «Nein, Margarete. Tod und Leben gehören zusammen wie Tag und Nacht. Während da draußen ein Mensch in den Flammen steht, werden wir uns mit den Flammen beschäftigen, die Menschen ineinander entfachen können. Tod und Lust sind Zwillinge, Margarete. Und jede Hingabe ist wie ein kleiner, süßer Tod.»
Das Mädchen nickte zaghaft. Priska setzte ein sachliches Gesicht auf. «Ich werde zu dir von Frau zu Frau sprechen. Aber ich werde nichts tun, um deine Lust zu entfachen. Das musst du selbst tun.»
Sie stand auf, schloss die Fensterläden und verzichtete darauf, ein Licht zu entzünden.
«Ich habe den Raum verdunkelt, damit du dich nicht schämen musst. Nun schlage dein Kleid bis über die Schenkel nach oben, sodass dein Schoß frei ist.»
Sie hörte das Rascheln der Kleider.
«Bist du so weit?»
«Ja», erwiderte Margarete.
Und dann, während draußen die Flammenzungen nach dem toten Körper des jungen Mönches Baptist züngelten, während Adam erstarrte und meinte, niemals wieder froh sein zu können, während Johann von Schleußig laut für die Seele des Gemarterten betete und Eva voll dunkler Ahnungen nach der Hand ihres Sohnes griff, machte Priska die junge Hübschlerin mit ihrem Körper und dem Sitz der Lust bekannt.
DRITTER TEIL
Neunzehntes Kapitel
Leipzig, im Jahre 1517
Sechs Jahre war es her, seit der Mönch Baptist auf dem Scheiterhaufen gebrannt hatte.
Fünfeinhalb Jahre alt war die Tochter, die Priska zur Welt gebracht hatte. Nora hatte sie das Kind genannt, und oft sprach sie ihren Namen rückwärts aus.
Alles hatte sich seitdem verändert.
Aron war weggegangen. Er war zurück nach Krakau gekehrt, seine Geschäfte verlangten nach ihm. Nach Zuckelhausen war er doch nicht gezogen; es ging nicht. Das Dorf war zu klein, zählte gerade mal elf Höfe. Wer sollte dort mit ihm Geschäfte machen? Außerdem wollten die Zuckelhausener keinen Juden bei sich.
«Es ist noch nicht die rechte Zeit, Priska. Aber alles bewegt sich. Ich bin sicher, wir werden eines Tages zusammen sein können. Und dann für immer.»
Er kam zu jeder Messe. Dreimal im Jahr hatten Priska und er einige Stunden für sich allein. Immer kam Priska diese Zeit viel zu kurz vor, doch sie wusste, sie hatte mehr als manch andere. Sie beklagte sich nicht, ging ganz in ihrer Arbeit auf. Seit sie ein Kind hatte, kamen die Leipzigerinnen wieder zu ihr. Sie war jetzt eine anerkannte Ehefrau, die nicht mehr von Gott gestraft wurde, denn er hatte ihr ja ein Kind geschenkt. Ihre Vorträge über den Bau des weiblichenKörpers und über den Sitz der Lust hatten die Runde gemacht. Die Hübschlerinnen hatten es ihren Kunden erzählt, die Kunden ihren Frauen – und diese wandten sich an sie. Zumeist verschämt und unter einem Vorwand. «Ich hätte gern ein Säckchen Kamille», sagten sie. Und Priska erwiderte stets: «Ich verkaufe keine Arzneien. Dies ist die Aufgabe des Apothekers. Wenn ich Euch jedoch sonst helfen kann, so tue ich es gern.»
Manche kamen zwei- oder gar dreimal, bis sie den Mut fanden,
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