Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
schreiben können. Normalerweise tun sie das nicht. Ob das seltsam ist? Wir reden zu so vielen Menschen, jeden Tag, und die meisten sind irgendwie Fremde. Okay, wir sehen sie oft und regelmäßig, und das erweckt den Eindruck, dass sie keine Fremden sind, aber eigentlich bleiben sie doch genau das: Fremde, die zufällig unseren Weg kreuzen. Und trotzdem reden wir mit ihnen, offenbaren uns, halten Small Talk. Und jetzt? Da ist dieser leuchtende Bildschirm, und ich weiß natürlich, dass du ein richtiger, wirklicher Mensch bist, jemand, der irgendwo da draußen in der Nacht an seinem eigenen Bildschirm sitzt und die Zeilen, die ich so schnell schreibe, liest. Es ist beruhigend zu wissen, dass es so etwas gibt. Dass sich zwei Menschen in der Nacht treffen, wenn auch nur virtuell, was besser ist, als sich gar nicht zu treffen, und diese beiden Menschen reden dann miteinander, was besser ist, als nicht miteinander zu reden.
Alex Hobdon
Ich habe mir gerade Tee gemacht, einen Earl Grey, und deine Antwort auf meine Frage gelesen. Eigentlich müsste ich noch meine Reisetasche packen, aber ich bin zu träge. Vielleicht auch zu faul. Ja, ich bin schlichtweg zu faul. Ist das nicht komisch? So lange habe ich gezögert, einen Agenten aufzusuchen, und jetzt, da es wirklich losgeht und sich vielleicht mein Leben ändert – wäre das nicht ganz großartig? –, bin ich einfach zu faul und unentschlossen und zu träge, die hässliche Reisetasche zu packen.
Holly_Go!
Bingo, kann ich gut verstehen. Ich müsste noch mindestens zwei Lieder schreiben. Mach ich aber nicht.
Alex Hobdon
Du hast gestern erwähnt, dass du Chansons singst. Habe ich erwähnt, dass ich auch neugierig bin?
Holly_Go!
Klavier, schwarz-weiß, irgendwie so wie früher, nur moderner.
Alex Hobdon
Ich bin immer noch neugierig …
Holly_Go!
Vielleicht schreibe ich ein Lied über zwei Menschen, die sich die Nacht um die Ohren schlagen und einander schreiben. »Manche Geschichten sind wie Melodien.«
Alex Hobdon
Klingt gut. Wir könnten uns weiterhin schreiben. Ich kann dir aus Chicago schreiben und berichten, wie es läuft. Ob es läuft. Du kannst mir Glück bringen. Würdest du das tun?
Holly_Go!
Ja. Schreiben ist viel besser als Telefonieren. Und Glück zu bringen ist sowieso gut. Ich hasse es zu telefonieren. Hat etwas mit meiner Familie zu tun. In dieser Hinsicht bin ich ein wenig aus der Zeit gefallen. Das sagt meine Freundin immer. Sie ist fabelhaft. Dana, musst du wissen, ist ein richtiger Traum, die absolute Powerfrau, modern und erfolgreich. Sie liebt ihr iPhone und alles andere auch. Ich gehe sehr halbherzig mit meinem Handy um. Es ist alt und zerkratzt und ziemlich hässlich, aber ich mag es, weil es so alt und zerkratzt und hässlich ist. Wäre es das nicht, hätte ich es längst auf den Müll geworfen. Dana jedoch findet, dass ich eine seltsame Einstellung zu modernen Kommunikationsmitteln habe, oder, um es mit ihren Worten zu sagen: »Wie kann es sein, dass eine aufgeklärte Frau im 21. Jahrhundert so gut wie nie erreichbar ist?« Ja, so bin ich. J Telefone und ich waren nie füreinander bestimmt. Das heißt: Schreiben ist vollkommen okay. Absolut richtig. Schreiben wir uns einfach weiter, das ist doch wie ein Abenteuer. Wie eine Reise, ja, eine richtige Entdeckungsreise.
Alex Hobdon
Schreiben wir uns. Okay. Gehen wir auf Entdeckungsreise.
Holly_Go!
Es ist schon spät. Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht, wenn wir schreiben. Die Luft ist noch richtig warm draußen. Sie weht mir in die Wohnung, weil ich immer das Fenster geöffnet habe.
Alex Hobdon
Bist du müde?
Holly_Go!
Ja, eigentlich schon. Hundemüde, ganz ehrlich. Aber irgendwie auch wieder nicht. Ich hätte jetzt Lust, ein Lied zu komponieren. Hinter mir steht ein altes Klavier, und ich müsste mich nur von der Couch und dem Laptop losreißen, mich davorsetzen, auf den wackligen Schemel, den mal irgendjemand reparieren müsste, und auf den Tasten herumspielen. So fängt es meistens an. Ich drücke die Tasten, und dann werden die Töne zu einer Melodie. Vermutlich würden meine Nachbarn das nicht ganz so famos finden wie ich. Ja, vermutlich würden sie das nicht. Schreiben ist gut. Besser. Leiser.
Alex Hobdon
Sehe ich auch so.
Holly_Go!
Warum ausgerechnet Frühstück bei Tiffany? Es gibt so viele Romane, die es verdient hätten, gezeichnet zu werden.
Alex Hobdon
Wegen Holly Golightly.
Holly_Go!
Habe mir gerade auch einen Tee gemacht. Minze. Kaffee, musst du
Weitere Kostenlose Bücher