Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

aber heute, an diesem Nachmittag, waren die Melodien und die Texte wie rastlos in der Luft flatternde Schmetterlinge, die mit niemandes Netz zu fangen waren. Faye begnügte sich damit, zu lauschen, zu beobachten, und hinter all den Bildern waren die Mails verborgen, die sie heute Abend schreiben würde. Sie tagträumte all die Textbausteine, die dann doch wieder gelöscht wurden, nur um neu erschaffen und wiederum gelöscht zu werden.
    Endlich zu Hause, beschloss sie aus einer Laune des Moments heraus, Yoga zu machen. Wenn nichts mehr half, dann das. Sagte zumindest Mica.
    Also zog Faye sich schnell um, Schlabberhose und Shirt, legte eine DVD in den Player und versuchte konzentriert das nachzumachen, was Sharon Gannon da vormachte. Nach fünf Minuten aber blieb sie einfach auf dem Boden liegen und genoss ihr Shavasana, atmete ruhig und dachte an den Tag und daran, wie er hätte anders verlaufen können.
    »Faye Archer«, sagte sie laut und öffnete die Augen, starrte an die Decke.
    Nein, so konnte das nicht weitergehen!
    Sie sprang auf und schaltete Sharon Gannon, die in den Kopfstand ging, aus, sprang schnell unter die Dusche und atmete die Energie ein, die sie dort umspülte. Dann wickelte sie sich ein Handtuch um die Haare, schlüpfte in bequeme Sachen, öffnete alle Fenster, sodass die warme Luft die Atmosphäre der abendlichen Stadt hereintragen konnte, lümmelte sich auf die Couch und schaltete den Laptop ein.
    »Carpe diem«, flüsterte sie ganz leise, und mit einem zögerlichen, wenngleich zutiefst entschlossenen Lächeln begann sie schließlich zu schreiben.

3
    Holly_Go!
    Hallo Alex. Ich bin es nur … Real Books, Brooklyn, NY, Sonnensystem. Du hast heute dein Skizzenbuch abgeholt, und wie es aussah, war ich gerade nicht da. Die Zeichnungen sind wirklich sehr schön. Ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich sie mir angeschaut habe. Normalerweise bin ich nicht so neugierig.
    Alex Hobdon
    Schade, dass wir uns verpasst haben. Ich war nur kurz zwischen zwei Terminen im Laden und hatte es ziemlich eilig. Oh, ich weiß, das klingt jetzt überaus wichtig und geschäftig, sollte es aber nicht. Weißt du, normalerweise ist mein Leben nicht so schnell und hektisch. Ich hasse Hektik und Eile. Deswegen lebe ich ja auch nicht drüben in Manhattan. Na ja, deswegen und weil ich es mir natürlich nicht leisten kann. Es ist übrigens überhaupt nicht schlimm, dass du dir meine Skizzen angeschaut hast. Haben sie dir gefallen? Sie sind nur der Anfang von etwas.
    Holly_Go!
    Der Anfang von etwas, das klingt echt interessant. Die Skizzen sehen aus wie Brooklyn Heights und Williamsburg. Darf ich fragen, was dieses Etwas ist? Okay, ich gebe es zu, ein wenig neugierig bin ich schon.
    Alex Hobdon
    Kennst du Frühstück bei Tiffany? Das Buch, meine ich, nicht den Film. Ich habe mich schon immer gefragt, warum bisher niemand eine Graphic Novel aus dem Roman gemacht hat. Tja, genau das ist mein Ziel. All die Skizzen sind nur erste Entwürfe für Straßen, Kleider, Charaktere. Ist schon verrückt, dir davon zu schreiben, zumal wir uns ja gar nicht kennen. Bisher habe ich noch nicht mit sonderlich vielen Leuten über diese Sache geredet. Aber wie auch immer, das ist genau das, worum es geht. Die Skizzen sind der Anfang, und ich wünsche mir, dass ich nicht den Mut verliere und es einfach tue. Zeichne, Panel für Panel, bis es fertig ist und ich sagen kann, dass ich es beendet habe.
    Holly_Go!
    Ich mag den Film. Und die Musik von Henry Mancini, natürlich. Ja, gerade die Musik und die Szene mit der nassen Katze am Ende, die ganz besonders, aber ich glaube, das tut hier nichts zur Sache. Es ist schön, dass es Menschen gibt, die an den Anfang von etwas glauben, und es ist in der Tat verrückt, sich so zu schreiben. Gewissermaßen eine fremde Stimme zu hören, die zu einem spricht, einfach nur so in geschriebenen Worten.
    Alex Hobdon
    Ja, wir müssen uns unsere Stimmen wohl erst einmal vorstellen. Bist du jeden Tag im Real Books? Ich habe den Laden erst gestern entdeckt. Auf dem Weg zur Arbeit bin ich zufällig dort vorbeigekommen, und ich war auf der Suche nach dem Buch von Capote. Der Koreaner im Laden betonte allerdings, dass es eine Novelle sei, ein Kurzroman, und kein Roman. Aber ein Buch ist es allemal, darauf konnten wir uns einigen, immerhin. Ich könnte in jedem Fall noch mal vorbeikommen. Dein Kollege mag Comics, und das ist gut so. Es gibt viel zu wenige Buchläden wie das Real Books, literarische Buchläden, meine ich, die neben