Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

wissen, trinke ich tagsüber andauernd. Ich schütte das meiste in den Blumenkasten, der vor meinem Fenster steht, eine etwas komische Angewohnheit, ich weiß, und seltsamerweise versickert Kaffee viel langsamer als Wasser. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, warum ich das jetzt schreibe. Ich könnte es natürlich löschen, aber irgendwie ist es genau das, was mir gerade durch den Kopf geht, und deshalb lasse ich es so stehen, wie ich es geschrieben habe. Holly Golightly also. Warum denn ausgerechnet Holly? Die Neugierde, die ich eben erwähnte, da ist sie wieder, nachtaktiv und lebendig …
    Alex Hobdon
    Holly Golightly, okay. Bitte keine falschen Schlussfolgerungen ziehen … J Im Ernst, ich verstehe Holly. Ich weiß, warum sie so erschaffen wurde. Sie hat ihr Zuhause verlassen, um selbstständig zu sein. Sie will frei sein, das ist alles, sie will nach niemandes Pfeife tanzen, und um das zu erreichen, nimmt sie vieles in Kauf. Ich bewundere ihren Mut. Sie ist alles, was die Menschen, die sie umgeben, nicht sind. Sie ist keine Konvention. Sie ist eine Idee, ein Traum von Freiheit, den jeder Mensch irgendwann einmal geträumt hat. Klingt das seltsam? Nun ja, alles hat seinen Grund, denke ich. Warum bist du nach New York gekommen?
    Holly_Go!
    Wie kommst du auf diese Frage?
    Alex Hobdon
    Die meisten Menschen, die hier leben, oder zumindest sehr viele von denen, die ich kenne, sind irgendwann, irgendwie von woanders hierhergekommen. Sie sind eines Tages angekommen, einfach so, mit dem Zug oder dem Flugzeug oder dem Auto. Sie haben sich ihren Platz gesucht und ein neues Leben begonnen. New York ist doch für so viele Menschen ein Ort, wie es Amerika früher insgesamt war. Eine Zuflucht und ein neuer Anfang. Die meisten, die ich kenne, haben mehr als nur etwas Unwichtiges hinter sich gelassen. Ich habe auch etwas zurückgelassen, und ich schaue nach vorn, um es nicht mehr betrachten zu müssen. So sehe ich die Stadt. Und Brooklyn? Brooklyn ist doch nur eine weitere Fluchtburg für alle, denen die anderen Stadtteile zu hektisch und zu groß sind. Brooklyn ist das ruhige Dorf am Rande des wilden Getümmels. Schau über den Fluss, und schreib auf, was du siehst. Selbst die Lichter drüben in Manhattan sind anders als die Lichter hier bei uns. Sie sind hektischer. Die Menschen dort sind hektischer. Alles dort ist schneller. Nun ja, deswegen habe ich einfach mal gefragt.
    Holly_Go!
    Und woher kommst du?
    Alex Hobdon
    Boston. Beacon Hill. Willst du das wirklich alles wissen?
    Holly_Go!
    Wir haben Zeit. Du kannst im Zug die ganze Strecke über schlafen. Chicago ist weit weg. Ja, ganz ehrlich, ich bin verdammt neugierig. Erzählen wir einander doch einfach all die Sachen, an die wir nicht denken möchten. Vielleicht geht es uns danach besser.
    Alex Hobdon
    Im Zug schlafen, das klingt verlockend. Aber was machst du? Du musst doch in den Laden und arbeiten.
    Holly_Go!
    Ich schütte den Rest des Kaffees nicht in den Blumenkasten, sondern trinke ihn aus, und zwar ganz ohne Milch.
    Holly_Go!
    Alex????
    Alex Hobdon
    Hey, das ist ja schon fast wie Telefonieren. Habe gerade meinen Laptop an die Steckdose angeschlossen. Musste das Kabel suchen.
    Holly_Go!
    Es ist besser, als zu telefonieren. Meine Güte, weißt du, wie spät es ist? Ich bin morgen bestimmt völlig im Eimer. Aber jetzt bin ich wach. Das Schreiben ist irgendwie neu. Weißt du, ich habe das vorher noch nie gemacht, so lange Mails geschrieben. So lange und so oft. Na ja, so oft hintereinander, in einer einzigen Nacht, einfach so, an jemanden, dem ich nicht mal richtig begegnet bin. Habe ich erwähnt, dass im Hintergrund Musik läuft? Bill Frizell. Hörst du auch Musik, während du mir schreibst? Aber zurück zu der anderen Sache. Wo soll ich nur beginnen? Du wolltest wissen, wieso ich hergekommen bin, aus Redwood Falls. Ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die Washington oder Los Angeles, Dallas oder San Diego aufgeben, einfach, weil sie große Städte lieben und irgendwann der Punkt gekommen ist, an dem sie eine neue Großstadt erkunden möchten. Ja, ich glaube wirklich, dass es Menschen gibt, die so ticken. Wenn du aber in einem Nest wie Redwood Falls aufwächst, ist das ein echter Sprung. Die meisten Menschen dort mögen ihre Stadt, und diejenigen, die davon träumen, den Zug zu besteigen, sind anders. Verstehst du, sie sind immer schon anders gewesen. Sie haben sich nie wirklich dort zu Hause gefühlt. Alle Leute haben gewusst, dass sie anders sind, und